Freiheit ohne Gott!?
Giotto di Bondone, Stultitia, 1304-1306, Padua, Arenakapelle.
„Es spricht der Narr in seinem Herzen: Es gibt keinen Gott!“ PSALM 53,2
So tritt der Narr in der Bibel erstmals im christlichen Abendland in Erscheinung: als Gottesleugner. Damit gibt er sich als Sünder zu erkennen und wendet sich bewusst von Gott ab.
In frühen Illustrationen zu den Psalmen erscheint der Narr manchmal ganz nackt, manchmal in einem langen Gewand, mit Keule und entweder barhäuptig, mit Tonsur oder mit Federkrone. In einem Psalter aus dem Kloster Lichtenthal wird der Narr vom Teufel begleitet: Wer Gott leugnet, geht ein Bündnis mit dem Teufel ein.
Ende des 15. Jahrhunderts ist die Ausstattung des Narren dann weitgehend festgelegt: Er trägt eine Gugel, also eine Kapuze, mit Eselsohren und einem Hahnenkamm. Sein Gewand ist mit Glöckchen geschmückt, in der Hand hält er die Marotte, das Narrenzepter: Aus der ursprünglich einfachen Keule ist ein Stab geworden, der in einem Narrenköpfchen endet - Symbol der Selbstbezogenheit. Jedes dieser Attribute zielt auf die Sündhaftigkeit des Narren ab.
Die Freiheit des Narren ist gottlos, er verspielt damit sein Seelenheil.
Narr und Teufel, Initiale zu Psalm 53
Die Gestik, mit der Narr und Teufel spiegelbildlich ihren Stab schwingen, verdeutlicht ihre Verbundenheit. Der Narr ist sich der Gefahr durch den Teufel nicht bewusst und führt unbekümmert das runde Narrenbrot zum Mund: Im fünften Vers des Psalms heißt es über die Mächte des Bösen, dass sie das Volk Gottes wie Brot verschlingen, und so beißt der Narr als Verkörperung des Bösen gierig in sein Brot. Zudem handelt es sich um ein Gegenbild zum Brot des Heiligen Abendmahls – während dieses zum Heil führt, führt jenes in den Tod.
Lateinischer Psalter
Frankreich, Anfang des 14. Jh.s
Badische Landesbibliothek, Cod. Karlsruhe 92
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Narr mit Glöckchen und Narrengewand
Gottvater versucht mit beschwörender Geste den Narren zu bekehren, der sich jedoch abwendet und in die entgegengesetzte Richtung weist. In der Hand hält er einen Strauß von Schellen, Glöckchen, welche seine Sündhaftigkeit symbolisieren. Seine Marotte mit Narrenköpfchen, also sein Narrenzepter, liegt neben ihm und scheint seinen Blick zu suchen.
Psalter
Basel: Michael Furter, 1503
Badische Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 119
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Narr mit Federkrone, Initiale zu Psalm 53
Die Federkrone erscheint schon in Psaltern des 13. Jahrhunderts als Attribut des Narren, am eindrucksvollsten auf dem Fresko der Scrovegni-Kapelle in Padua, das Giotto di Bondone (um 1270–1337) Anfang des 14. Jahrhunderts malte. Sie persifliert eine Herrscherkrone und steht für den Hochmut des Narren, der sich mit billigen Federn schmückt wie ein Pfau. Hochmut ist die Voraussetzung der Torheit, deren größter Frevel im Leugnen Gottes besteht.
Psalterium mit deutscher Übersetzung
Augsburg: Ratdolt, 1499
Badische Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 117
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Narr mit Federkrone, von Kindern verspottet
Hans Holbein d.J. (1497/98–1543) stellt den Narren umringt von johlenden Kindern dar. Schon die mittelalterliche Ständetreppe zeigt zwei Figuren außerhalb ihrer Ordnung: den Narren und das Kind. Beide begreifen die göttliche Ordnung nicht, stehen also außerhalb der christlichen Gesellschaft. Während das Kind jedoch heranwachsen und sich in den göttlichen Heilsplan eingliedern wird, bleibt der Narr ein Außenseiter.
Die gantze Bibel
Holzschnitte von Hans Holbein d. J.
Zürich: Froschauer, 1531
[verkleinertes Faksimile, Zürich 1983]
Badische Landesbibliothek, 83 B 2266