100 Jahre deutsche Nationalhymne

„Das Lied der Deutschen“ im Spiegel der badischen Presse

Almut Ochsmann (Gastautorin). Freischaltung: 11.8.2022 8.30 Uhr

DOI: https://doi.org/10.58019/4h2w-ac18

„Einigkeit und Recht und Freiheit“, den Anfang unserer Nationalhymne, haben wir fast täglich in der Hand: Er ist auf dem Rand der deutschen 2-Euro-Münzen eingeprägt. Diese demokratischen Grundsätze scheinen uns in Deutschland eine Selbstverständlichkeit zu sein. Doch das war nicht immer so. Badische Zeitungen aus den Digitalen Sammlungen der BLB erzählen die wechselvolle Geschichte der Nationalhymne.

Im August 1922 erklärte der damalige Reichspräsident der Weimarer Republik Friedrich Ebert das „Lied der Deutschen“ zur offiziellen Nationalhymne. Text und Melodie sind aber schon früher entstanden. Zunächst bekam der Komponist Joseph Haydn den Auftrag, für den österreichischen Kaiser Franz II. ein „Volkslied“ zu schreiben: „Gott erhalte Franz den Kaiser, Unsern guten Kaiser Franz!“ Das war 1797 und kann durchaus als Reaktion auf die französische Marseillaise gesehen werden. Die Kaiserhymne wurde schnell sehr beliebt und noch im selben Jahr komponierte Haydn sein Streichquartett op. 76 Nr. 3, in dessen zweitem Satz diese Melodie variiert wird und das als „Kaiserquartett“ bekannt ist.

Von der Maas bis an die Memel?

Zu sehen ist ein Gemälde von Ernst Henseler. Es zeigt Hoffmann von Fallersleben in der zeitgenössischen Mode auf einem Felsen in der Natur sitzend. In seiner Hand hält er einen Wanderstock.

Portrait des Dichters Hoffmann von Fallersleben vom Maler Ernst Henseler (1898). - Quelle: Wikipedia 

Als Heinrich August Hoffmann von Fallersleben 1841 „Das Lied der Deutschen“ dichtete, bestand der Deutsche Bund noch aus 35 kleinen Staaten und vier freien Städten. Während die Franzosen und Engländer Nationalhymnen hatten und sich damit als geeinte Nationen präsentieren konnten, kursierten in deutschen Landen mehrere patriotische Gesänge wie „Die Wacht am Rhein“ und „Ich hab’ mich ergeben mit Herz und mit Hand“. Hoffmann von Fallersleben wollte mit den Zeilen „Deutschland, Deutschland über alles, Über alles in der Welt, Wenn es stets zum Schutz und Trutze Brüderlich zusammenhält“ ein Lied schaffen, in dem sich alle Deutschen wiederfinden konnten. Sein wichtigstes Anliegen war die Überwindung der Kleinstaaterei und ein neuer Zusammenhalt. Er fügte hinzu, wer alles zusammenhalten sollte: „Von der Maas bis an die Memel, Von der Etsch bis an den Belt“. Diese vier Flüsse markierten damals in etwa die Außengrenzen des deutschen Sprachraums. Doch schon im Ersten Weltkrieg wurden diese Zeilen anders gedeutet und in kriegerischem Zusammenhang gesungen. Ein einschneidendes Datum war der 11. November 1914. In der Badischen Landeszeitung war kurz darauf unter der Überschrift „Der Weltkrieg“ in der Rubrik „Bunte Chronik“ zu lesen: „Nach dem Bericht unserer obersten Heeresleitung vom 11. November haben junge deutsche Regimenter auf dem westlichen Kriegsschauplatz bei Langemarck unter dem Gesange von „Deutschland, Deutschland über alles“ die erste Linie der feindlichen Stellungen genommen. Unser herrliches Trutzlied „das Lied der Deutschen“, wie es sein Dichter Heinrich Hoffmann von Fallersleben genannt hat, begeistert also seit dem Beginn des europäischen Weltkrieges nicht nur die in der Heimat zurückgebliebenen Deutschen, sondern es feuert auch unsere tapferen Truppen zum Kampfe an.“1

Zu sehen ist: Badische Landeszeitung, Karlsruhe, Samstag, 14. November 1914, Nr. 531, Jg. 73 Abendblatt.

Badische Landeszeitung, Karlsruhe, Samstag, 14. November 1914, Nr. 531, Jg. 73 Abendblatt. - Zum Digitalisat

Zu sehen ist eine Aufnahme von Friedrich Ebert

Reichspräsident Friedrich Ebert, 1925. - Quelle: Wikipedia 

 

 

Trotz dieser propagandistischen Nutzung entschied der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert drei Jahre nach Ende des Krieges, das „Lied der Deutschen“ zur Nationalhymne zu erklären. Am 11. August 1922 feierte die Weimarer Republik den dritten Jahrestag ihrer Reichsverfassung. Auf einer Kundgebung „schritt [Ebert] unter den Klängen des Liedes „Deutschland, Deutschland über alles“ die Front der Ehrenkompagnie ab. Der große Sitzungssaal des Reichstages war nach den Entwürfen des Reichskunstwarts mit Eichenlaubgewinden und schwarz-rot-goldenen Tüchern schlicht geschmückt. Im Mittelfeld der Wandfläche über dem Präsidialsitz war der neue Reichsadler angebracht, darunter ein Rahmen von Eichenlaub mit den Worten „Einigkeit und Recht und Freiheit“ aus dem Liede, das heute zum Liede der deutschen Republik geworden ist.“2

Der Sozialdemokrat Friedrich Ebert war 1922 alles andere als frei in seiner Entscheidung. Die Republik steckte in einer Krise: Die Kriegsniederlage und der Versailler Vertrag waren noch nicht bewältigt, weder emotional noch politisch. Er fürchtete, dass die Deutschnationalen das „Lied der Deutschen“ als Protest-Gesang gegen die Republik benutzen würden, wenn es nicht offizielle Hymne würde. So versuchte Ebert, demokratische Symbole zu stiften, indem er den Text der dritten Strophe in den Fokus rückte: „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Doch sein Versuch, damit symbolisch die Einheit der jungen Weimarer Republik zu stärken, scheiterte.

Keine Hymne ohne Horst-Wessel-Lied

Friedrich Ebert hatte 1922 ausdrücklich betont, die Hymne solle „keinesfalls Ausdruck nationalistischer Überhebung“ sein. Doch genau das geschah nur elf Jahre später. Am 5. März 1933 gewann Adolf Hitler mit seiner NSDAP die Reichstagswahlen. Noch am selben Tag führte er eine neue Hymnenpraxis ein: Zuerst sollte die Nationalhymne gesungen werden und direkt im Anschluss das Horst-Wessel-Lied, die Parteihymne der NSDAP. Durch diese Verbindung mit einem nationalsozialistischen Kampflied wurden Partei und Staat musikalisch „gleichgeschaltet“. Das Klang-Symbol des Staates wurde missbraucht. Adolf Hitler machte sich die Verbreitung der Hymne und deren Deutung in seinem Sinne zur Chefsache. Beim jährlichen Treffen des Deutschen Sängerbundes 1937 in Breslau sprach er, „von einem Begeisterungssturm ohnegleichen empfangen“ zu den Sängern. Man fühlte sich geehrt: „Es ist das erste Mal, daß auf einem Fest des nunmehr 75 Jahre bestehenden Deutschen Sängerbundes das Staatsoberhaupt zu den Hütern des deutschen Sangesgutes spricht. Der Führer pries in seiner Rede den Wert des deutschen Liedes, das überall erklingt, wo Deutsche in der Welt leben und das den Deutschen ermöglicht, alles das auszudrücken, was vielleicht die harte Wirklichkeit ihm zu erleben verwehrt. Unter stürmischen Zustimmungsbekundungen stellte der Führer fest, daß das Lied der Deutschen kein imperialistisches Lied ist, daß es aber uns Deutschen zeigt, daß Deutschland wert geworden ist, über allem zu stehen, was selbst die Welt uns zu bieten vermöchte.“3

zu sehen ist eine Teilausschnitt aus folgender Zeitung: Durlacher Tagblatt – Pfinztaler Bote Nr. 177, Zweites Blatt, Montag, 2. August 1937.

Durlacher Tagblatt – Pfinztaler Bote Nr. 177, Zweites Blatt, Montag, 2. August 1937. - Zum Digitalisat

Im Amtsblatt des Badischen Kultus-Ministeriums wurde am 29. März 1933 das „Verhalten beim Singen des Deutschlandliedes und des Horst-Wessel-Liedes“ festgelegt: „Beim gemeinsamen Gesang des Deutschlandliedes ist es Pflicht aller Anwesenden, sich eines geziemenden, der Würde des Augenblicks entsprechenden Verhaltens zu befleißigen.“ Man sollte sich erheben und auch nach dem Lied nicht laut miteinander sprechen. „Diese Anordnung gilt auch sinngemäß für das Horst-Wessel-Lied.“ Auf diese Weise färbte die Feierlichkeit der Nationalhymne auch auf das Kampflied ab. Geradezu erschreckend ist ein Bericht über den 1. Mai-Feiertag 1933 auf dem Schlossplatz in Karlsruhe. Abertausende hatten sich hier eingefunden, um die Übertragung einer Kundgebung von Adolf Hitler auf dem Tempelhofer Feld in Berlin zu verfolgen: „Das Deutschlandlied und das Horst-Wessel-Lied erschollen zum nachtdunklen Himmel empor, dann flammten hunderte von Glühbirnen im weiten Schloßplatzgelände auf, Scheinwerfer glitten über die Menge, mächtige Hakenkreuze strahlten aus der Finsternis hervor. Es war ein zauberhaftes Bild, ein würdiger Abschluss des großen Tages.“4

Zu sehen ist eine Seite aus folgender Zeitung: Karlsruher Tagblatt Nr. 120, Dienstag, den 2. Mai 1933

Karlsruher Tagblatt Nr. 120, Dienstag, den 2. Mai 1933, S. 4. - Zum Digitalisat

Karnevalslieder im Fußballstadion

Zu sehen ist eine Aufnahme von Konrad Adenauer

Bundeskanzler Konrad Adenauer 1955. - Quelle: Wikipedia 

 

Kein Wunder also, dass die Alliierten nach 1945 zunächst jegliche nationalen Symbole in Deutschland verboten, unter anderem auch das Singen der Nationalhymne. Doch schon bald kam in der jungen Bundesrepublik die Frage nach Symbolen wie Flagge und Hymne wieder auf, denn was sollte im Fußballstadion erklingen – etwa ein Karnevalslied? Tatsächlich hatten die Musikkapellen – ob aus Verzweiflung oder Unwissenheit – vor Fußballspielen Karnevalslieder gespielt. 

Im Südkurier vom 30. April 1952 wurde über diese Suche berichtet: „Der Streit geht gegenwärtig darum, ob etwas Neues geschaffen oder ob das Deutschlandlied in der Haydn’schen Vertonung wieder als Nationalhymne eingeführt werden soll. Der Bundespräsident und die Sozialdemokratie sind gegen das Deutschlandlied, ohne im Augenblick einen konkreten andern Vorschlag machen zu können. Bundeskanzler Dr. Adenauer stand von jeher auf dem Standpunkt, daß es nicht nötig und daß es vielleicht sogar ein Fehler wäre, auf die alte deutsche Nationalhymne zu verzichten.“5
 

Bundespräsident Theodor Heuss versuchte vergeblich, eine neu komponierte Hymne in Deutschland zu etablieren. Konrad Adenauer hatte etwa Dreiviertel der Bevölkerung hinter sich und konnte 1952 die alte Hymne neu etablieren, während in der DDR Hanns Eisler und Johannes R. Becher mit „Auferstanden aus Ruinen“ eine neue Hymne schufen. Und auch als nach der deutschen Wiedervereinigung Symbole für ein „neues“ Deutschland gefunden werden mussten, setzte Bundeskanzler Helmut Kohl 1991 durch, dass ausschließlich die dritte Strophe „Einigkeit und Recht und Freiheit“ beibehalten werden sollte; schien doch der Text nun aktueller denn je zu sein. Heute sehen manche Historiker darin eine verpasste Chance, die ostdeutsche Identität in die Nationalhymne mit einzubinden. Hätte doch der Text der DDR-Hymne ohne Probleme auf die gleiche Melodie gesungen oder eine neue Strophe hinzugedichtet werden können.

Die deutsche Nationalhymne hat eine äußerst wechselvolle Geschichte, die immer, wenn sie erklingt, mitschwingt. Wer „Einigkeit und Recht und Freiheit“ singt, sollte sich dessen bewusst sein.
 

Quellen:

  1. Badische Landeszeitung, Karlsruhe, Nr. 531, Samstag, 14. November 1914, Jg. 73 Abendblatt. 
  2. Volksfreund. Tageszeitung für das werktätige Volk Mittelbadens, Nr. 186, Samstag, 12. August 1922, Jg. 42, Karlsruhe. 
  3. Durlacher Tagblatt – Pfinztaler Bote, Nr. 177, Zweites Blatt, Montag, 2. August 1937
  4. Karlsruher Tagblatt Nr. 120, Dienstag, den 2. Mai 1933, S. 4.
  5. Südkurier, Nr. 68, Mittwoch, 30.4.1952, S. 2.

 

Weiterführende Literatur-Tipps:

 

Weitere Medienformate:

 

Deutschlandlied
Baden

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