50 Jahre Gemeindereform – 50 Jahre Landesbibliographie Baden-Württemberg

Ein Land wächst zusammen

Gerrit Heim 28.11.2023 16.25 Uhr

DOI: https://doi.org/10.58019/5ypz-c131

Viele Landkreise feiern in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen. Dies tut auch die Landesbibliographie Baden-Württemberg. Auch wenn beide Ereignisse weit voneinander entfernt zu liegen scheinen, handelt es sich dabei um keinen Zufall. Am 1. Januar 1973 trat die große Kreisreform in Baden-Württemberg in Kraft. Zusammen mit der Neugliederung der Regierungsbezirke und der Gemeindereform war sie die größte Neustrukturierung in der Geschichte des Bundeslandes Baden-Württemberg. Damit löste sich das Land von den seit der Gründung des Südweststaates fortgeführten Strukturen, die bis 1973 die Vorgängerterritorien Baden und Württemberg in Form von Verwaltungsgrenzen sichtbar machten.

Große Verwaltungsänderungen führen manchmal zu kritischer Hinterfragung in anderen Bereichen. Denn auch die Landesbibliographien wurden bis 1973 getrennt nach Baden und Württemberg geführt. Nun erst entschlossen sich die Badische Landesbibliothek und die Württembergische Landesbibliothek, eine gemeinsame Landesbibliographie für das Bundesland zu erstellen.

Kreisreform

1973 war das letzte Mal, dass in diesem Umfang Landkreise neu zugeschnitten wurden. Diese Maßnahme bildete den Höhepunkt der großen Gebietsreform in Baden-Württemberg, welche von 1968 bis 1975 stattfand und darauf zielte, leistungsfähigere Gemeinden zu bilden. Neben den Kreisen entstanden auch viele neue Gemeinden und die vier Regierungsbezirke wurden neu strukturiert.

Die Abbildung zeigt das Ergebnis der Volksabstimmung 1970 über die Wiederherstellung des Landes Baden.

Ergebnisse der Volksabstimmung am 7. Juni 1970 über die Wiederherstellung des Landes Baden (Prozent Stimmen für ein Land Baden) sowie die Grenzen der Regierungspräsidien und Landkreise vor der Reform. Quelle: Wikipedia Commons

Der Grund für diese Maßnahme lag in der Notwendigkeit, die Verwaltungsstrukturen an die neue wirtschaftliche Realität nach über zwei Jahrzehnten Wirtschaftswachstum anzupassen. Seit dem Zweiten Weltkrieg hatte sich die Bundesrepublik Deutschland wirtschaftlich und gesellschaftlich stark entwickelt. Die Gemeinden hatten sich allerdings kaum verändert und es entstand ein deutliches Gefälle zwischen wohlhabenden Gemeinden mit starker Industrie und weniger erfolgreichen Gemeinden, die ihren Bewohnern und Bewohnerinnen nicht viel bieten konnten. Die Kreis- und Gemeindereform wurde durchgeführt, um diese Missstände abzubauen und nicht lebensfähige Kleinstgemeinden aufzulösen.

Regionale Identität

Eine Gemeinde- und Kreisreform geht über den reinen Verwaltungsakt hinaus, da die regionale Einteilung identitätsstiftend wirkt. Die Abschaffung vertrauter Ortsnamen und die Verlagerung von Verwaltungsakten in das Rathaus einer benachbarten Stadt stößt immer auf beträchtlichen Widerstand. Zusammenschlüsse wie die geplante Fusion von Ravensburg-Weingarten oder die beabsichtigte Eingemeindung von Umkirch nach Freiburg scheiterten an diesen Widerständen.

Schwierigkeiten bei größeren Gebietsreformen sind kein Spezifikum des Südwestens. Sie gestalten sich aber herausfordernder in einem Bundesland, das erst 1952 gegen zahlreiche Widerstände entstanden war (siehe auch den Blogbeitrag von Jan-Dirk Rausch zum 70-jährigen Jubiläum der Landesverfassung Baden-Württemberg). Zwei katholische Bistümer mit unterschiedlichen Traditionen und zwei evangelische Landeskirchen mit unterschiedlichen konfessionellen Prägungen bestimmen bis heute die territoriale Gliederung. Auf den Vorabend der Kreisreform fiel ausgerechnet noch einmal die Identitätsfrage. Am 7. Juni 1970 fand eine lange verschleppte Volksabstimmung über die Wiederherstellung Badens als unabhängiges Bundesland statt, die der Heimatbund seit 1955 auf Basis des Deutschlandvertrags forderte. 81,9 % der Abstimmenden sprachen sich für einen Verbleib von Baden im Südweststaat aus. Die Tatsache, dass es zu einer Abstimmung kam, zeigt, dass die gemeinsame Identität Baden-Württembergs nicht selbstverständlich war. Noch 1973 waren Baden und Württemberg auf der Verwaltungskarte deutlich getrennt.

Besonders im kollektiven Gedächtnis geblieben ist die Zusammenlegung von Villingen und Schwenningen. Auf der Faktenebene wurden zwei benachbarte Kreisstädte fusioniert. Doch eine der Städte gehörte ehemals zu Baden und die andere zu Württemberg. Während die eine Stadt katholisch geprägt war, hatte die andere einen protestantischen Charakter. Die Verwaltungsreform führte jedoch auch jenseits solch spektakulärer Fälle zur Überwindung der Trennung zwischen Baden und Württemberg. Kreisgrenzen wurden pragmatisch und ohne Berücksichtigung historischer Grenzen gezogen; die vier Regierungsbezirke wurden neu zugeschnitten und nach ihren Hauptstädten benannt. Baden und Württemberg verschwanden aus der Verwaltungslandkarte. Insofern lassen sich heute die 50-jährigen Jubiläen zahlreicher Kreise als Ausdruck und Ergebnis erfolgreicher Identitätsbildung auf regionaler Ebene werten.

Vereinigung der badischen und württembergischen Landesbibliographien

Einen ebenso wichtigen Beitrag zur regionalen Identität leisten Landesbibliographien. Durch die systematische Auswahl und Erschließung von Informationen zu einer bestimmten Region übernehmen Regionalbibliographien eine identitätsstiftende Funktion und sind Anknüpfungspunkt für eine Vielzahl an landeskundlichen Organisationen. Eine das ganze Land umfassende Regionalbibliographie sollte bei vielen nach 1945 neu geschaffenen Bundesländern ein wachsendes Landesbewusstsein stützen.

Bis 1973 hatte man dieses Ziel in Baden-Württemberg jedoch nicht verfolgt, sondern in den Bibliographien reproduzierte sich gleichsam wie in der Verwaltung noch die Trennung in Baden und Württemberg. Nachdem beide Staaten aber nun gewissermaßen von der Verwaltungskarte verschwanden, fusionierten die beiden Landesbibliotheken auch die bis dahin getrennt geführten Bibliographien für Baden (den sogenannten „Lautenschlager“) und Württemberg (den sogenannten „Heyd“) sowie die kleinere Bibliographie der hohenzollerischen Geschichte zur Landesbibliographie Baden-Württemberg, um dieser Situation nicht nachzustehen. Die Landesbibliographie Baden-Württemberg feiert somit dieses Jahr ebenfalls ihr 50-jähriges Bestehen.

Die Abbildung zeigt die Titelseite der Bibliographie der badischen Geschichte, die 1929 von Friedrich Lautenschlager begründet wurde.

Titelseite der Bibliographie der badischen Geschichte, begründet von Friedrich Lautenschlager. – zum Digitalisat / zum Katalog

Das ist folgerichtig, da der deutsche Südwesten auf eine lange gemeinsame historische Geschichte zurückblickt. Baden und Württemberg in ihren Grenzen von 1952 waren ein Ergebnis von Säkularisierung und Mediatisierung am Ende des alten Reiches und der Neuordnung Europas infolge der napoleonischen Kriege. Schon die gesonderten Kapitel im „Lautenschlager“ zur Kurpfalz, einem seit 1806 teilweise badischen Territorium, das im Gegensatz etwa zu Vorderösterreich bis heute über ein ausgeprägtes historisches Bewusstsein verfügt, machten den Konstruktionscharakter einer badischen Landesbibliographie deutlich.

Die nun gemeinsame Bibliographie sollte auch weiterhin von den beiden Landesbibliotheken in Karlsruhe und Stuttgart erstellt werden. In beiden Bibliotheken arbeiten Teams kooperativ an der Erfassung und Erschließung der Neuerscheinungen und beide Landesbibliotheken verzeichnen Titel mit Bezug zu Baden und zu Württemberg. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist das Pflichtexemplarrecht für Baden-Württemberg. Die regionale Prägung bei der Auswertung ist nur bei sehr wenigen landeskundlichen Zeitschriften bis heute vorhanden.

Landesbibliographie Baden-Württemberg

Die Zusammenlegung war ein durchschlagender Erfolg. Erst durch die Fusion wurde die Bibliographie so leistungsfähig, wie sie heute sein muss, um im 21. Jahrhundert ihre Relevanz zu behalten. Während unregelmäßig erscheinende Bände in der Mitte des 20. Jahrhunderts noch ausreichten, um die Neuerscheinungen abzudecken, verzeichnen die Landesbibliotheken heute trotz strenger Auswahlkriterien weit mehr als 10.000 neue Titel pro Jahr. Baden-Württemberg ist eben nicht nur ein dynamisches Verlagsland, sondern verfügt auch über eine aktive landeskundliche Forschung.

Die Finanzierung der Drucklegung der Bände wurde zunächst von der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg übernommen. Deren Vorgängerinstitutionen hatten bereits die Ursprungsbibliographien angeregt. Bis 2004 wurden insgesamt 21 Bände der gedruckten Bibliographie veröffentlicht. Ab 1986 wurde die Erstellung der Bibliographie durch das Statistische Landesamt unterstützt, zunächst durch die Automatisierung der Drucklegung für die Printbibliographie und ab 1999 durch eine im Internet verfügbare Datenbank. Die Onlinebereitstellung entsprach den generellen Entwicklungen im Bereich der bibliographischen Recherche um die Jahrtausendwende.

Hinsichtlich der Datenhaltung ging die Landesbibliographie Baden-Württemberg jedoch einen eigenen Weg im Vergleich zu anderen Regionalbibliographien. Viele Regionalbibliographien führten die Onlinestellung direkt in den bibliothekarischen Verbundkatalog ein oder holten diesen Schritt in den letzten Jahren nach. Die Landesbibliographie Baden-Württemberg hatte in Form des Statistischen Landesamtes jedoch einen zuverlässigen Partner und scheute deshalb lange Zeit den Migrationsaufwand.

Die Abbildung zeigt einen Screenshot der Landesbibliographie beim Statistischen Landesamt vom 20.11.2023.

Screenshot der Landesbibliographie beim Statistischen Landesamt vom 20.11.2023

Das Statistische Landesamt wird jedoch nach frühzeitiger Ankündigung zum Ende des Jahres 2023 keine technischen Dienstleistungen für den Betrieb von Bibliographien mehr anbieten. Die beiden Landesbibliotheken wechseln daher mit der Landesbibliographie zum 50-jährigen Jubiläum zum BSZ (Bibliotheksservice-Zentrum Baden-Württemberg) als technischem Kooperationspartner und migrieren in den Verbundkatalog K10plus. Sie ist nicht die erste Bibliographie, die diesen Schritt geht, vollzieht ihn aber mit ausgeprägter Konsequenz. Anstelle einer unvollständigen Datenmigration in den lokalen Verbundbereich mit vielen Freiheiten geht es direkt in den Hauptbereich („Titelsatz“) des Verbundsystems. Zudem soll die Landesbibliographie direkt über die Bibliothekskataloge beider Landesbibliotheken durchsuchbar sein – statt eines eigenen OPACs zur Recherche. Die Landesbibliographie Baden-Württemberg entwirft dadurch ihr eigenes Modell einer zeitgemäßen Regionalbibliographie im 21. Jahrhundert: als zentraler Teil des Serviceangebots leistungsstarker Landesbibliotheken, aber ohne eigene Marke für die Landesbibliographie.

Die Abbildung zeigt einen Screenshot der Landesbibliographie im Katalog plus der Badischen Landesbibliothek vom 20.11.2023.

Screenshot der Landesbibliographie im Katalog plus der Badischen Landesbibliothek vom 20.11.2023.

Zum 50-jährigen Jubiläum wurde die Landesbibliographie technisch modernisiert und steht nun auf einer soliden Basis für kommende Jahrzehnte. Eine hochwertige Erzeugung und Bereitstellung von grundlegenden Daten ist heute von größerer Bedeutung denn je, um maschinellem Lernen und anderen aktuellen Entwicklungen eine vertrauenswürdige Grundlage bieten zu können. Darüber hinaus bleibt die Landesbibliographie das zentrale Rechercheinstrument für landeskundliche Informationen zu Baden-Württemberg und bietet mit den Bibliothekskatalogen nun einen optisch zeitgemäßen Rechercheeinstieg, der sich über die gewohnten Suchmethoden bedienen lässt.

Für Fragen und Anmerkungen zur neuen Rechercheoberfläche wenden Sie sich bitte an das Team der Landesbibliographie.

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