Wir feiern Johannes Reuchlin!

Kira Epple 2.8.2022 7.30 Uhr

DOI: https://doi.org/10.58019/q2d8-xf75

Anlässlich des 500. Todestags des Humanisten Johannes Reuchlin (1455–1522) veröffentlicht die Badische Landesbibliothek eine virtuelle Ausstellung und feiert damit sein Lebenswerk. Bekannt wurde Johannes Reuchlin durch seine Arbeit mit der hebräischen Sprache, seine Verdienste im christlich-jüdischen Dialog und durch seine große Bibliothek, deren Reste im Bestand der Badischen Landesbibliothek erhalten sind. Alle zwölf noch bekannten Handschriften aus Reuchlins Besitz sind vollständig digitalisiert und in den Digitalen Sammlungen zu finden. Durch die Erschließung einer neuen Wissenschaft, der Hebraistik, steht Johannes Reuchlin beispielhaft für die Epoche der Renaissance. Sein Leben war geprägt von verschiedenen beruflichen Tätigkeiten, so war er Jurist, Diplomat, Philologe, Philosoph, Gräzist und Hebraist. Heute gilt er vor allem auch als Vorreiter religiöser Toleranz.

Geboren wurde Johannes Reuchlin am 29. Januar 1455 als Sohn von Georg Reuchlin (um 1425–1474) und Elisabeth Eck (um 1430–1474) in der vom badischen Markgrafen Karl I. regierten Stadt Pforzheim. Nach dem Besuch der Pforzheimer Lateinschule und einem dreijährigen Studium an der Artistenfakultät der Universität Freiburg ging Johannes Reuchlin 1473 als Begleiter von Friedrich, dem Sohn des Markgrafen, nach Paris.
Nach weiteren Studienaufenthalten in ganz Europa und einem Abschluss als Magister der Philosophie erlangte Johannes Reuchlin 1484 den Grad eines Doktors der Rechtswissenschaft und somit den Namenszusatz „Legum doctor“. Seine Herkunft „Phorcensis“, lateinisch für „aus Pforzheim“, führte er in seinen Vermerken ebenfalls stets an. Von Kaiser Friedrich III. wurde Reuchlin 1492 in den Adelsstand erhoben und war fortan Hofpfalzgraf („Comes palatinus“).
 

Besitzvermerk Johannes Reuchlins in einem Buch aus seiner Bibliothek, Badische Landesbibliothek, De 145

Besitzvermerk Johannes Reuchlins in einem Buch aus seiner Bibliothek, Badische Landesbibliothek, De 145
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:31-239785/fragment/page=6751196 
 

Porträt von Johannes Reuchlin, 18. Jh., Badische Landesbibliothek, Graph Slg 3230 (an den rechten Rand)

Porträt von Johannes Reuchlin, 18. Jh., Badische Landesbibliothek, Graph Slg 3230 (an den rechten Rand)
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:31-242247/fragment/page=6787675 
 

Bevor sich Johannes Reuchlin seinem Interesse an den Sprachen der Antike intensiver widmen konnte, stand er als Ratgeber im Dienste des Grafen Eberhard von Württemberg. Hinzu kamen seine juristischen Tätigkeiten zunächst als Beisitzer am Württembergischen Hofgericht, der obersten Zivilinstanz des Landes, und später als einer der drei obersten Richter des Schwäbischen Bundes („Triumvir Sueviae“).

Um den Inhalt des Alten Testaments möglichst authentisch zu verstehen, war für Johannes Reuchlin das Beherrschen der hebräischen Sprache unverzichtbar. Diese Bedingung hielt er auch in seinem ersten Werk, dem Vocabularius breviloquus, fest. Noch während seiner diplomatischen Laufbahn erlernte Johannes Reuchlin Hebräisch und gilt damit als der erste deutsche „vir trilinguis“, der erste Gelehrte, der alle drei antiken Sprachen (Latein, Griechisch und Hebräisch) beherrschte.

Prophetencodex mit Lesemarkierungen durch Johannes Reuchlin, Badische Landesbibliothek, Cod. Reuchlin 3

Prophetencodex mit Lesemarkierungen durch Johannes Reuchlin, Badische Landesbibliothek, Cod. Reuchlin 3
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:31-64884/fragment/page=3396554 
 

Ab 1492 vergrößerte Johannes Reuchlin seine Bibliothek stetig. In diesem Jahr bekam er von Friedrich III. nicht nur eine hebräisch-aramäische Bibel geschenkt, die den Grundstein seiner Bibliothek legte, er wurde von Friedrich III. zudem in den Adelsstand erhoben. Vor allem seine Sammlung hebräisch-aramäischer Bibeln und hebräischer Bibelkommentare hatte kaum ihresgleichen. Von diesen Handschriften haben lediglich zwölf die Jahrhunderte überdauert. Unter diesen befindet sich auch der sogenannte Karlsruher Prophetencodex (Cod. Reuchlin 3). Er gehört zu den ältesten in Europa datierten hebräischen Handschriften.

Aus dem Besitz Martin Luthers: Porchetus, Sieg gegen die ungläubigen Juden, Paris 1520, Badische Landesbiblio-thek, 42 B 297 RH


Aus dem Besitz Martin Luthers: Porchetus, Sieg gegen die ungläubigen Juden, Paris 1520, Badische Landesbibliothek, 42 B 297 RH
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:31-3072/fragment/page=33385 
 

Johannes Reuchlin war es ein Anliegen, seine Kenntnisse der hebräischen Sprache auch an andere Christen weiterzugeben. So veröffentlichte er verschiedene Lehrbücher und Grammatiken mit passenden Wörterbüchern. Gedruckt sind diese wie hebräische Texte, von hinten nach vorne. 

Dass die Texte des Judentums in der christlichen Wissenschaft Anklang fanden, war zu Lebzeiten Johannes Reuchlins alles andere als selbstverständlich. Juden erfuhren das gesamte Mittelalter hindurch starke Anfeindungen durch das christliche Europa.
Auch in Martin Luthers (1483–1546) Besitz fanden sich Werke, die den gängigen Antisemitismus seit der Spätantike illustrierten. Zwar leisteten Reuchlins Lehrwerke den Reformatoren gute Dienste, denn durch seine Grammatiken wurde ihnen das Verständnis der hebräischen Sprache und somit der biblischen Texte ermöglicht. Doch änderte dies nicht unbedingt die gesellschaftlich übliche Einstellung zum Judentum.
 

Auch Johannes Reuchlin äußerte sich mehrmals zur Kollektivschuld der Juden und ihrer erforderlichen Bekehrung zum Christentum. Allerdings bewertete er eine generelle Verdammung der Juden als überzogen. Als es 1510 zu einer weiteren Welle des Judenhasses kam und der zum Christentum konvertierte Johannes Pfefferkorn (1469–1521) die Verbrennung jüdischer Bücher forderte, plädierte Johannes Reuchlin wider Erwarten dafür, die jüdischen Schriften als wichtige und schützenswerte kulturhistorische Quellen für das Christentum zu bewahren.
Johannes Pfefferkorn reagierte sehr wütend auf Reuchlins Appell und es kam zu einem öffentlichen Medienkrieg der beiden Männer. Dieser wurde weitgehend über Druckschriften ausgetragen und endete in mehreren Gerichtsprozessen. Johannes Reuchlin vertrat durchweg seine Meinung und nahm nicht nur die hebräischen Schriften, sondern auch die Jüdinnen und Juden persönlich in Schutz.

 

Titelblatt des Augenspiegels von 1511 Badische Landesbibliothek,  42 A 1237 RH

Titelblatt des Augenspiegels von 1511 Badische Landesbibliothek,  42 A 1237 RH

Besonders Johannes Reuchlins Streitschrift „Augenspiegel“ zählt aufgrund seines Inhalts zu den bemerkenswertesten Erzeugnissen des deutschen Buchdrucks dieser Zeit. Das Wort „Augenspiegel“ verdeutlicht eine Brille, die das Titelblatt des Werkes ziert. 
Trotz der immer vehementeren Verteidigung des Judentums stand für Johannes Reuchlin selbst bis zu seinem Tod fest nie infrage, dass der christliche Glaube der allein richtige sei.

Reuchlins Schriften und Taten zeugen von einer für seine Zeit ungewöhnlichen und mitunter mutig vertretenen Toleranz. Seine Haltung, dass die hebräische Philosophie und die zugehörigen Schriften für die Erschließung des Christentums erforderlich seien, kann auch als Mah-nung für den aktuell wachsenden Antisemitismus verstanden werden: Vermeintlich Fremdes ergänzt die eigene Welt, ohne sie zu bedrohen.

 

Johannes Reuchlin
Virtuelle Ausstellung
Hebraistik
Johann Pfefferkorn
Reuchlinscher Streit
Codex Reuchlinianus
Bibel. Altes Testament
Religiöse Toleranz
Jüdische Literatur
Judentum

 

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