Revolution in Baden? Der Oberbadische Aufstand 1923

Michael Fischer 19.9.2023 18.40 Uhr

DOI: https://doi.org/10.58019/gbfg-b553

Das Jahr 1923 gilt gemeinhin als das „Krisenjahr“ der Weimarer Republik, in dem eine ganze Reihe von Ereignissen die Grundfesten der jungen Republik erschütterten: die Besetzung des Ruhrgebiets durch die französische Armee und der anschließende „Ruhrkampf“, Separationsbewegungen in Bayern und im Rheinland, Wirtschaftskrise und Hyperinflation, der kommunistische Umsturzversuch im so genannten „Deutschen Oktober“, die Reichsexekution gegen die sozialdemokratisch-kommunistischen Landesregierungen in Sachsen und Thüringen sowie der Hitler-Ludendorff-Putsch.

Auch im Badischen Oberland, wie die höher gelegenen Gebiete der früheren Markgrafschaft Baden-Durlach auch bezeichnet werden, eskalierte im September 1923 ein aus der prekären sozialen und wirtschaftlichen Situation geborener Konflikt zwischen der Arbeiterschaft aus Lörrach und weiteren Ortschaften in der Umgebung mit den lokalen Unternehmern zu einem bürgerkriegsähnlichen Aufstand unter kommunistischer Führung. Mit seiner starken Textilindustrie war Lörrach neben Mannheim eine badische Hochburg der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD).

Dieser so genannte Oberbadische Aufstand jährt sich nun zum hundertsten Mal und ist in den Digitalen Sammlungen der Badischen Landesbibliothek (BLB) und der Universitätsbibliothek (UB) Freiburg gut anhand digitalisierter Quellen nachzuvollziehen: Neben digitalisierten Zeitungen wie dem Badischen Beobachter (UB Freiburg) und dem Karlsruher Tagblatt (BLB) fanden die Ereignisse ebenfalls Niederschlag in den Debatten im Badischen Landtag (u.a. hier und hier), dessen Protokolle sich wie einige andere zeitgenössische Dokumente in den Digitalen Sammlungen der BLB befinden. Im folgenden Beitrag wird auf die Ereignisse in Lörrach fokussiert.

Sommer 1922: Demonstrationen zum Schutze der Republik

Bereits im Sommer 1922 hatten sich in der Region Unruhen ereignet: Nach der Ermordung Walther Rathenaus durch rechtsradikale Terroristen am 24. Juni 1922 initiierten die Organisationen der Arbeiterbewegung als Antwort auf das Attentat reichsweit Demonstrationen zum „Schutze der Republik“. Diese wurden am 27. Juni und am 4. Juli 1922 auch in Lörrach durchgeführt und zwar unter der Führung des linken Sozialdemokraten Adolf Kieslich und im Beisein des umtriebigen kommunistischen Politikers Max Bock. Beide Politiker sowie der ebenfalls sozialdemokratische badische Innenminister Adam Remmele sollten auch im Oberbadischen Aufstand 1923 eine maßgebliche Rolle spielen.

Bei der Lörracher Demonstration im Juli 1922 verlangten aufgebrachte Demonstranten den Abzug von Polizeikräften, die in Lörrach zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung vorsorglich stationiert worden waren und von den Demonstranten als „Provokation“ angesehen wurden. Unter Führung von Max Bock konnte in den Verhandlungen mit den staatlichen Stellen und unter dem Eindruck der massiven Demonstration ein Abzug der Polizei erreicht werden.

Der badische Innenminister Adam Remmele sah dadurch jedoch die staatliche Autorität herausgefordert, was seine Haltung zu den Unruhen des Oberbadischen Aufstands im September 1923 sicherlich maßgeblich beeinflusst haben wird. In einer hitzigen Debatte über die Ereignisse am Rande der Demonstration im Juli 1922 warf er den Kommunisten im Landtag vor, mit gezielter Agitation die Demonstranten gegen die Stationierung der Polizei aufgebracht zu haben (siehe das Digitalisat der Protokolle der zweiten Kammer des Badischen Landtags, hier Montag, der 17. Juli 1922):

„Das verträgt keine Staatsverwaltung auf die Dauer, […] wenn wir uns auf diese Weise behandeln lassen wollen, nicht von der Masse der Demonstranten, sondern von ein paar Leuten, die zum Teil aus bösem Willen der heutigen Staatsgewalt, der heutigen Staatsordnung alle Schande angetan wissen möchten […]. Das ist nicht der Staat, nicht die Regierung, nicht die Gendarmerie; sondern das ist unser Staat, unsere Regierung, unsere Gendarmerie!“ [Hervorhebung im Original, Anm. d. Verf.]

Kampf um die Republik: Die gespaltene Arbeiterbewegung

Die hier vorgestellten historischen Persönlichkeiten der badischen Landesgeschichte illustrieren beinahe mustergültig die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung nach 1918 und vermitteln einen guten Eindruck zu den unterschiedlichen politischen Haltungen zur Weimarer Republik:

Adam Remmele (1877–1951) verkörperte als gemäßigter Sozialdemokrat, langjähriger badischer Innenminister (1919–1929) und zweifacher Staatspräsident von Baden geradezu einwandfrei die Haltung der SPD als der staatstragenden Partei der Weimarer Republik schlechthin – dies auch und gerade in seinem Standpunkt gegenüber den linken Extremisten und Gegnern der parlamentarischen Demokratie, mit denen er sich zwar die gemeinsame politische Herkunft aus der deutschen Arbeiterbewegung teilte, sich jedoch auch nicht davor scheute, die staatliche Autorität gegen diese mit Polizei und Waffengewalt durchzusetzen.

Das Foto zeigt Adam Remmele.

Adam Remmele (1877–1951). Quelle: Generallandesarchiv Karlsruhe, 231 Nr. 2937 (869). – zum Digitalisat

Adolf Kieslich (1875–1935), langjähriger Abgeordneter des badischen Landtags, steht stellvertretend für die in der Frühphase der Weimarer Republik sehr starke Strömung der linken Sozialdemokratie und lag mit dem Landesvorstand der traditionell sehr gemäßigten und pragmatischen badischen SPD schon immer über Kreuz. Er war als Gewerkschafter aus der Textilindustrie einer der geborenen Anführer der Lörracher Arbeiterschaft und war immer wieder auch dazu bereit, mit kommunistischen Kräften zusammenzuarbeiten – dies gegen den erklärten Wunsch des badischen SPD-Landesvorstands.

Das Foto zeigt Adolf Kieslich.

Adolf Kieslich mit Ehefrau Hedwig Kieslich und Sohn Willy um 1914. Privates Foto von H. Bernnat an das Stadtarchiv Lörrach (StA Lörrach 2.66.45v) übergeben. Quelle: Wikipedia Commons

Max Bock (1881–1946) ist sicherlich der schillerndste der drei Politiker. Er hatte in der Vorkriegszeit als Gewerkschaftsfunktionär in der Metallindustrie gewirkt und war dann über die USPD zur KPD gekommen. Er war langjähriger Vorsitzender der KPD im badischen Landtag und berühmt-berüchtigt für seine derben und volkstümelnden Reden. Als hochrangiger KPD-Funktionär war er – neben seiner führenden Beteiligung am Oberbadischen Aufstand 1923 – an den Revolutionsplänen der deutschen KPD im sog. „Deutschen Oktober“ beteiligt. Wie Remmele wurde er während der nationalsozialistischen Herrschaft zeitweise in einem Konzentrationslager inhaftiert. 1946 wurde er in einer Allparteienregierung zum ersten Arbeitsmister von Württemberg-Baden ernannt. Bock steht für die radikal-revolutionäre kommunistische Strömung der deutschen Arbeiterbewegung.

Das Foto zeigt Max Bock.

Max Bock (1881–1946). Quelle: Generallandesarchiv Karlsruhe, 231 Nr. 2937 (896). - zum Digitalisat

Der Oberbadische Aufstand 1923

Im Frühherbst 1923 forderten angesichts der sich unter dem Eindruck der Hyperinflation stetig verschlechternden sozialen und wirtschaftlichen Lage Teile der Lörracher Arbeiterschaft im Rahmen von „Teuerungsdemonstrationen“ eine Erhöhung der Löhne und andere inflationsausgleichende Maßnahmen. Dies kulminierte am Freitag, dem 14. September 1923, in einem lokalen Generalstreik. Am gleichen Tag zog die beträchtliche Menge von 15.000 Demonstranten durch Lörrach, um den Forderungen der Arbeiterschaft Nachdruck zu verleihen.

Bereits an diesem Tag kam es zu den ersten Ausschreitungen: Zum einen zogen Teile der Demonstranten vor das Lörracher Gefängnis und erreichten die Freilassung von fünf inhaftierten Jugendlichen, die kurz zuvor einen lokalen Unternehmer verprügelt hatten. Um zügig zu einem Verhandlungsergebnis mit den Arbeitgebern zu gelangen, suchten zum anderen einige Demonstranten ausgewählte Lörracher Unternehmer in deren Privathäusern auf und nötigten diese durch erheblichen Druck, sich noch am gleichen Abend an den Verhandlungstisch zu begeben.

Diese Verhandlungen endeten am Abend des 14. Septembers 1923 aus Sicht der Demonstranten dann auch sehr erfolgreich: Die Arbeitgeber gewährten inflationsausgleichende Zahlungen und Lohnerhöhungen, wie das Karlsruher Tagblatt am folgenden Sonntag in seiner Ausgabe vom 16. September 1923 vermeldete.

 

Der Screenshot zeigt einen Ausschnitt aus dem Karlsruher Tagblatt vom 16. September 1923.

Ausgabe des Karlsruher Tagblatts vom 16. September 1923, S. 5. – zum Digitalisat

Bereits am folgenden Montag, dem 17. September 1923, widerriefen die Unternehmer die Verhandlungsergebnisse jedoch, da diese lediglich unter dem Druck der Demonstration zustande gekommen waren. Zudem hatte am Wochenende gleichzeitig die badische Staatsregierung den Befehl zum Einsatz von zwei Hundertschaften Schutzpolizei aus Freiburg gegeben, die noch am Montagmorgen die zentralen staatlichen Verwaltungsgebäude in Lörrach mit Barrikaden sicherten und die Verhaftung der wenige Tage zuvor befreiten Gefangenen vorbereiteten.

Der Lörracher Arbeiterschaft musste der Polizeieinsatz, angeordnet von einem sozialdemokratischen Innenminister, und die gleichzeitige Rücknahme der am Freitag ausgehandelten tariflichen Zugeständnisse „das Bild einer üblen Kumpanei von Staat […] und Lörracher Industriellen“ vermitteln, so resümierte Hubert Bernnat 2018 in seinem Buch „150 Jahre Sozialdemokratie“ (S. 124). Bereits im Laufe des Montags kam es angesichts der erhitzten Gesamtlage zu Zusammenstößen und ersten Kämpfen zwischen Polizei und Arbeitern, bei denen „ein Demonstrant getötet und acht verletzt“ wurden, wie das Karlsruher Tagblatt am 18. September 1923 meldete. Ebenfalls am Montag wurde erneut zum Generalstreik aufgerufen. Durch radikale politische Kräfte, die oftmals Mitglieder der KPD waren bzw. ihr nahestanden, wurden sogenannte „Proletarische Hundertschaften“ aufgestellt und bewaffnet, die gegen die Schutzpolizisten kämpften. Die Situation eskalierte immer weiter, es kam zu weiteren Toten und Verletzten. Bereits am Dienstag, dem 18. September 1923, war der Ausnahmezustand verhängt worden. Gleichzeitig weiteten sich die Unruhen und der Streik auf viele Städte in der Umgebung aus, so dass das Karlsruher Tagblatt am 20. September 1923 mit der Schlagzeile „Unruhen in Baden“ aufmachte.

Der Screenshot zeigt eine Seite aus dem Karlsruher Tagblatt vom 20. September 1923.

Ausgabe des Karlsruher Tagblatts vom 20. September 1923, S. 3. – zum Digitalisat

Trotz der Unruhen verhandelten die Unternehmer und die Vertreter der Arbeiterschaft erneut über die sozialen und wirtschaftlichen Forderungen der Arbeiterschaft, wobei sogar ähnliche Ergebnisse wie bei den Verhandlungen am Freitag zuvor erreicht werden konnten. Hauptsächlicher Streitpunkt war nun allerdings die Frage, wann und zu welchen Bedingungen die Schutzpolizei wieder abziehen würde. Angesichts der bürgerkriegsähnlichen Unruhen und des Ausnahmezustands sicherte ein „Aktionsausschuss“ der Arbeiterschaft in Zusammenarbeit mit den kooperativen lokalen Behörden die Lebensmittel- und Elektrizitätsversorgung, so dass schlimmere soziale Zustände verhindert werden konnten. In diesem Aktionsausschuss wirkten führend Adolf Kiesling und Max Bock.

Die Situation blieb auch in den Tagen nach der Verhängung des Ausnahmezustands am Dienstag, den 18. September 1923, angespannt, und es kam immer wieder zu kleineren Zusammenstößen. Schließlich konnte jedoch ausgehandelt werden, dass der Streik zum Montag, dem 24. September 1923, beendet und die Arbeit wiederaufgenommen würde. Am folgenden Tag zog auch die Schutzpolizei ab und der Ausnahmezustand wurde aufgehoben.

Juristisches Nachspiel

Die Ereignisse rund um den Oberbadischen Aufstand hatten in den Jahren 1924 bis 1926 ein juristisches Nachspiel. Politische Straftaten in der Frühphase der Weimarer Republik wurden in der Regel sehr ungleich geahndet – während rechte Straftäter sehr milde abgeurteilt wurden, erhielten linke Angeklagte zum weit überwiegenden Teil drakonische Strafen, was zur bekannten Einschätzung führte, dass die Justiz der Weimarer Republik auf „dem rechten Auge blind“ gewesen wäre. Die wegen ihrer Beteiligung am Oberbadischen Aufstand 1924 im „Freiburger Kommunistenprozeß“ vor dem Landgericht vor allem wegen Landfriedensbruch angeklagten Personen wurden allerdings mehrheitlich zu zumindest nicht übertrieben harten Strafen verurteilt. Jedoch jene am Oberbadischen Aufstand beteiligten Personen, die gleichzeitig wegen ihrer Verstrickung in den „Deutschen Oktober“ 1926 vor dem Reichsgericht in Leipzig angeklagt wurden, erhielten sehr harte Strafen.

Der Oberbadische Aufstand: Planvoller Auftakt zur kommunistischen Revolution?

Vielfach wurde der Oberbadische Aufstand als Teil der kommunistischen Pläne gewertet, auch in Deutschland eine Revolution nach sowjetrussischem Vorbild zu starten. Wenngleich es nur wenige Wochen später einen solchen Versuch im (gescheiterten) „Deutschen Oktober“ – mit geographischen Schwerpunkten in Mitteldeutschland und Hamburg – tatsächlich gegeben hat und auch die zentrale Person auf kommunistischer Seite in Lörrach, nämlich Max Bock, tief in die paramilitärischen Vorbereitungen zum „Deutschen Oktober“ involviert war, muss festgehalten werden, dass es sich beim Oberbadischen Aufstand 1923 um eine primär aus der wirtschaftlichen Notlage der Arbeiter heraus entwickelnde und vor allem spontane Streik- und Sozialbewegung gehandelt hatte. Diese wurde freilich u.a. von den Kommunisten radikalisiert, aber eben nicht planvoll nach sowjetrussischem Vorbild inszeniert. Nichtsdestotrotz reiht sich der Oberbadische Aufstand in die Krisenereignisse des Jahres 1923 ein und gibt – anhand der hier aufgeführten regionalgeschichtlichen Quellen – den Blick frei für eine lokale Perspektive auf das „Krisenjahr“ der Weimarer Republik.

 

Weiterführende Links und verwendete Literatur:

 

Sozialdemokratische Partei Deutschlands
Lörrach
Streik
Geschichte 1923
Kommunistische Partei Deutschlands (Deutsches Reich). Bezirk Baden

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