Tutanchamun in Karlsruhe

Zum 100. Jahrestag der Entdeckung des Pharaonengrabes

Zeitungsarchäologie Nr. 3

Julia von Hiller 3.11.2022 10.00 Uhr

DOI: https://doi.org/10.58019/e2ja-3v02

Sind Sie dem Pharao auch schon einmal persönlich begegnet? Ich habe am 31. März 1981 im Kestner-Museum Hannover vor seiner Totenmaske gestanden. 55 ausgewählte Objekte aus seinem Grabschatz, gerade mal ein Prozent dessen, was aus seinem Grab in den Jahren 1922 bis 1932 geborgen worden war, reisten da schon seit zwanzig Jahren rund um die Welt und faszinierten Millionen von Besuchern. Die Ausstellung Tutanchamun besuchten an ihren fünf Standorten in Deutschland 3,2 Mio. Menschen, es wurden 1,5 Mio. Exemplare des Ausstellungskatalogs verkauft. Danach haben die damals gezeigten, auf ihrer Tournee konservatorisch enorm beanspruchten Spitzenstücke Kairo nicht mehr verlassen. Jüngere Interessenten mussten dorthin reisen, was aber sehr einfach möglich war; von 1981 bis 2010 verachtfachte sich die Zahl ausländischer Besucher am Nil. Die Grabschätze des Tutanchamun werden künftig im neuen, eine Milliarde Dollar teuren Grand Egyptian Museum zu sehen sein, dem mit 40.000 m2 Ausstellungsfläche größten archäologischen Museum der Welt. Alle 5.398 Objekte des Tutanchamun-Grabschatzes werden dort vollzählig ausgestellt sein.

Howard Carter: Tut-ench-Amun. Bd. 1-3. Leipzig 1924-1934, Vorderdeckel Badische Landesbibliothek 66 A 223,1-3

Howard Carter: Tut-ench-Amun. Bd. 1-3. Leipzig 1924-1934, Vorderdeckel
Badische Landesbibliothek 66 A 223,1-3

Wie war das aber damals, als Howard Carter und Lord Carnarvon das Grab des Tutanchamun entdeckten? Ein ungeplündertes Pharaonengrab, randvoll gefüllt mit Gegenständen aus Gold. Es war eine Weltsensation, die einen Medienhype nach sich zog, unabsehbare Ströme von Schaulustigen nach Ägypten lenkte und die Ägyptomanie in allen Bereichen des kreativen Schaffens neu beflügelte. Was haben die Menschen in Karlsruhe davon mitbekommen? Hat das überhaupt jemanden interessiert in jener Stadt, auf deren Marktplatz ihr Stadtgründer seit 1823 unter einer Pyramide begraben liegt wie ein ägyptischer Pharao?

Es war noch vor den Zeiten des Radios; für Neuigkeiten aus fremden Regionen war die Welt auf die Zeitung angewiesen. Allein in der Residenzstadt Karlsruhe gab es sieben verschiedene Tageszeitungen unterschiedlicher politischer Prägung. Was also erfuhren deren Leser über den spektakulären Fund und die darauffolgende Bergung der Grabbeigaben, die Öffnung des Sarkophags, die Beschaffenheit der Pharaonenmumie? Kein Problem, das herauszufinden, denn alle Karlsruher Zeitungen dieser Jahre sind von uns längst vollständig digitalisiert und im Volltext durchsuchbar gemacht worden. 130 Belege aus den Jahren 1922 bis 1932 können hier ausgewertet werden.

Auf der Nilbarke: „Das Boot auf der Abbildung gehört der Pharaonenfamilie, auf dem Sonnensegel sitzt der Vogel des RA, der königliche Geier; an der Bordwand zeigt es auf jeder Seite ein Auge gegen den bösen Blick." Aus der Liebigbild-Serie „Aus dem Lande der Pharaonen". Auch der tote Pharao Tutanchamun fuhr auf einer Nilbarke von seiner Königsstadt Memphis zu seinem Begräbnis im Tal der Könige.

Darf nicht fehlen: das Liebigbild.
Auf der Nilbarke: „Das Boot auf der Abbildung gehört der Pharaonenfamilie, auf dem Sonnensegel sitzt der Vogel des RA, der königliche Geier; an der Bordwand zeigt es auf jeder Seite ein Auge gegen den bösen Blick."
Aus der Liebigbild-Serie „Aus dem Lande der Pharaonen".
Auch der tote Pharao Tutanchamun fuhr auf einer Nilbarke von seiner Königsstadt Memphis zu seinem Begräbnis im Tal der Könige.
Badische Landesbibliothek 121 F 282 R - zum Digitalisat

Die Entdeckung

Am 4. November 1922 kam Howard Carter morgens an die Grabungsstelle und wurde von einem gespannten Schweigen seiner Mitarbeiter erwartet. Sie waren auf eine Treppenstufe im natürlichen Fels gestoßen und warteten nun ab, was ihr Chef über das weitere Vorgehen entscheiden würde. Carter ließ die Treppe bis zum Grabeingang freilegen und stellte fest, dass er mit einem Siegel der Friedhofsverwaltung aus der Zeit der 18. Pharaonendynastie verschlossen war. Nie vorher hatte ein Archäologe im Tal der Könige ein noch ungeöffnetes Grab gefunden, immer waren vorher schon Grabräuber dagewesen und hatten die Gräber leergeräumt. Carter ließ die Treppe erst einmal wieder zuschütten und telegrafierte seinem Auftraggeber Lord Carnarvon nach England, der sich eilends auf den Weg machte und am 23. November in Theben eintraf.

Die Ausgräber

Was waren das für zwei Männer? Howard Carter (1874–­1939) war 1891 als Grabungszeichner nach Ägypten gekommen, 1899 von der staatlichen Antikenverwaltung zum Oberinspektor der Altertümer in Oberägypten und Nubien ernannt worden und hatte seit 1902 die Arbeiten im Tal der Könige beaufsichtigt. 1904 nach Unterägypten versetzt, hatte er dort den Dienst quittiert und sich wieder nach Theben begeben, wo er ab 1907 auch für Lord Carnarvon (1866–1923) tätig war. Dieser vermögende britische Adlige verbrachte seit 1903 gesundheitshalber die Winter in Ägypten, entdeckte dort seine Leidenschaft für die altägyptische Hochkultur und engagierte mangels eigener Fachkenntnisse den Archäologen Carter für seine Projekte.

Als 1914 die Grabungslizenz für das Tal der Könige frei wurde, weil weitere Funde nicht mehr erwartet wurden, übernahm Lord Carnarvon die Lizenz. Wegen des Ersten Weltkriegs begann Carter aber erst im Herbst 1917 mit neuen Sondierungen. Es hatte Funde gegeben, die auf die Bestattung des Pharaos Tutanchamun im Tal der Könige hinwiesen, doch war das Grab nach Carters Auffassung noch nicht gefunden worden. Carter ließ partiell den gesamten Schutt der Jahrtausende abtragen, um im gewachsenen Fels nach noch unentdeckten Grabeingängen zu suchen. Die Grabungskampagnen allerdings brachten Jahr um Jahr höchst magere Ergebnisse. Die Kampagne im Winter 1922/23 sollte deshalb die letzte sein. Sie hatte kaum begonnen, da stießen die Ausgräber auf das Grab des Tutanchamun.

Der Pharao

Und wer war Tutanchamun? Ein Pharao der 18. Dynastie des Neuen Reiches, der von 1332 bis 1323 v. Chr. in Ägypten regierte – ein Kindkönig, der schon im Alter von 18 bis 20 Jahren verstarb. Immerhin hatte er da schon Frau und Kinder: In seinem Grab mitbestattet waren zwei Föten, die durch DNA-Analyse als seine Töchter identifiziert wurden. Viel weiß man nicht über ihn: Er war ein Sohn des Königs Echnaton, der in Ägypten den Monotheismus eingeführt und den Sonnengott Aton verehrt hatte. Seinen eigenen Namen Tutanchaton änderte er mit der Rückkehr zu den alten Göttern in Tutanchamun, die Residenz verlegte er von Tell-el-Amarna zurück nach Memphis; es sind zahlreiche Restaurierungsarbeiten an den alten Tempeln aus seiner Regierungszeit bezeugt.

Über seinen frühen Tod wird bis heute gestritten. Zahlreiche Knochenbrüche machen einen Jagdunfall oder Unfall beim Wagenrennen wahrscheinlich, der aber nicht todesursächlich gewesen sein muss. Am wahrscheinlichsten ist es wohl, dass er, wie deutsche Tropenmediziner herausgefunden haben, an einer Sichelzellenanämie verstarb. Seine kurze Regierungszeit hat ihn keine größere historische Bedeutung erlangen lassen, aber er ist derjenige, aus dessen Bestattung sich die Nachwelt ein Bild vom Grabkult der Pharaonen machen kann.

Blick auf den goldenen Schrein hinter dem Durchgang von der Vor- zur Grabkammer.  Zeichnung von Douglas Macpherson.

Blick auf den goldenen Schrein hinter dem Durchgang von der Vor- zur Grabkammer. 
Zeichnung von Douglas Macpherson.
In: Tutanchamon : Sonderheft der Woche. Berlin : Scherl, [1924].
Badische Landesbibliothek Mo 3650 

Die Freilegung

Am 24. November 1922 wurde die Treppe zum zweiten Mal ausgegraben. Als auch der Eingang des Grabes freigelegt war, entdeckten die Ausgräber darauf zwei Königssigel des Pharaos Tutanchamun. Sie hatten gefunden, wonach sie gesucht hatten. Was sich aber hinter der Tür befand, war noch völlig offen. Am 29. November schließlich öffneten sie das Grab und standen in der Vorkammer, einem Hort von Kunstschätzen unfassbarer Güte. Sie lagen wüst durcheinander, weil diese erste Kammer in pharaonischer Zeit einmal aufgebrochen worden war. Sie war aber ordnungsgemäß neu verschlossen worden und über die Vorkammer hinaus waren die Einbrecher auch nicht gelangt.

Die ebenfalls in Theben tätigen Archäologen des Metropolitan Museum of Art aus New York stellten sich sofort zur Verfügung und blieben von dort aus an das Tutanchamun-Projekt abgeordnet. Weitere Spezialisten kamen hinzu. Noch im Dezember 1922 starteten die Bergungsarbeiten, unterstützt durch ein britisch-amerikanisches Team aus Experten, das über die nächsten zehn Jahre hinweg eine akribische und sorgfältige Arbeit leistete. Der Fotograf Harry Burton (1879–1940) und die Zeichner des Metropolitan Museum of Art waren für die Dokumentation tätig; Epigraphiker, Sphragistiker, Philologen, Historiker, aber auch Botaniker und Chemiker mit ausgewiesener Expertise sorgten für ein Ergebnis, das auch hundert Jahre später noch als mustergültig gelten kann.

Uschebti-Statuette aus dem Grab des Tutanchamun. Umschlagmotiv von Tutanchamon : Sonderheft der Woche. Berlin : Scherl, [1924].

Uschebti-Statuette aus dem Grab des Tutanchamun.
Umschlagmotiv von Tutanchamon : Sonderheft der Woche. Berlin : Scherl, [1924].
Badische Landesbibliothek Mo 3650

Die Presseberichterstattung

Am 30. November 1922, einen Tag nach der Öffnung des Grabes, erschien der erste Bericht über die spektakuläre Entdeckung in der Londoner Times, mit der die Ausgräber Anfang Januar 1923 einen Exklusivvertrag zur Berichterstattung abschlossen. Sie verbanden damit die naive Erwartung, den belagerungsähnlichen Zuständen zu entgehen, die nach ihrer Entdeckung im Tal der Könige entstanden. Ihre Arbeit wurde nicht nur vom ersten Tag an durch Scharen von Touristen behindert, die live dabei sein wollten, wenn Schätze geborgen wurden. Auch die Weltpresse war vor Ort und begehrte rund um die Uhr Auskunft. Aber die Ausgräber wollten nun ihre archäologische Arbeit machen. Sie wollten die Funde bergen, dokumentieren und konservieren. Sie wollten ihre Zeit nicht vorrangig der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und schon gar nicht all jenen zudringlichen Besuchern widmen, die sich für wichtig hielten. Sie wollten auch nicht ständig die Arbeit unterbrechen und das Grab für Besichtigungen herrichten müssen. So engagierten sie Arthur Merton als Berichterstatter der Times gewissermaßen als Pressesprecher und die Times als ihre PR-Agentur. Der Vertrag mit der Times räumte dieser das Recht zur Erstberichterstattung ein und sah vor, dass 75% des Erlöses aus dem Weiterverkauf von Nachrichten zur Refinanzierung des Grabungsprojekts an Lord Carnarvon gehen sollten, der ja immerhin die Arbeiten aus seinem Privatvermögen bezahlte. Diese Entscheidung der Ausgräber sorgte von Anfang an für Ärger und hatte späterhin auch schwerwiegende Auswirkungen auf den Fortgang der Grabung.

In Deutschland kam die Nachricht vom Pharaonengrab erst eine Woche später an. Als erste berichtete die Vossische Zeitung in Berlin am 7. Dezember 1922 über „Die Schätze im Prunkgrab von Luksor“; sie bezog sich dabei auf einen Vortrag des Ägyptologen Ludwig Borchardt bei der Vorderasiatisch-Ägyptischen Gesellschaft am Vorabend.

Den ersten Bericht in Karlsruhe brachte am 22. Dezember 1922 das Karlsruher Tagblatt, die örtliche Zeitung des gebildeten Bürgertums, unter dem Titel „Englands Spürsinn“. Der Artikel startet in den ersten 28 Zeilen mit einem Angriff auf die Briten als clevere Kunsträubernation: „Bekanntlich hat England auf der Suche nach Kultur- und Kunstschätzen in den Ländern der alten wie der neueren Kultur immer eine gleich feine Spürnase gezeigt und es verstanden, sich rechtzeitig in den Besitz der wertvollsten und geschlossensten Sammlungen aus allen Zeitläuften und Kulturperioden zu setzen. Was heute in den weiten Hallen allein des Britischen wie des South Kensington-Museums aufgestapelt liegt, zeigt, daß man in England immer anders dachte, als am Schluß des Weltkrieges, als man Deutschland seinen wohlerworbenen Besitz an Kunstschätzen streitig machte und von uns die besten Perlen großer Kunstepochen zurückforderte.“ Der Signalreiz des Lords Elgin, der 1801 die Bauskulpturen des Parthenon nach London brachte, wird implizit, aber doch demonstrativ auf Lord Carnarvon übertragen – der ja sicher auch nichts anderes vorhabe. Im Weiteren folgt der Artikel der Times und zitiert wörtlich den (vielzitierten) Entdeckerbericht von Lord Carnarvon vom 10. Dezember 1922. Dieser hatte mitgeteilt, dass es gleich zu Anbeginn gelungen war, elektrisches Licht ins Pharaonengrab zu legen. Reichlich unvermittelt endet der Karlsruher Artikel also so: „Die Freilegung der Königsgräber von Theben bei elektrischer Beleuchtung – welche Perspektiven eröffnen sich hier der Phantasie und – der modernen Filmkunst, die uns ja gerade auf diesem Gebiete schon so vieles beschert hat.“ Filmaufnahmen der archäologischen Arbeit im Grab sollte es allerdings nicht geben.

Verpackung der Wächterstatuen vor der Grabkammer für den Abtransport. Der Durchgang zur Grabkammer ist bereits geöffnet. Fotografie von Harry Burton.

Verpackung der Wächterstatuen vor der Grabkammer für den Abtransport.
Der Durchgang zur Grabkammer ist bereits geöffnet.
Fotografie von Harry Burton.
In: Tutanchamon : Sonderheft der Woche. Berlin : Scherl, [1924].
Badische Landesbibliothek Mo 3650

Die Grabkammeröffnung

Natürlich hätten alle gern gewusst, was hinter der inneren Tür lag, die von zwei großen Wächterfiguren bewacht war. Aber zunächst mussten die Schätze der Vorkammer geborgen werden. Nachdem diese geräumt war, öffneten die Ausgräber am 16. Februar 1923 in Anwesenheit von Ehrengästen die eigentliche Grabkammer. Dort fanden sie die vollkommen intakte Bestattung des Pharaos vor: einen riesigen vergoldeten Schrein, darin – wie sich im weiteren Verlauf zeigen sollte – ineinander geschachtelt drei weitere Schreine, darin ein Sarkophag, in welchem wiederum drei Särge ineinander geschachtelt waren, alles mit Gold verziert, der innerste Sarg aus purem Gold und darin zuletzt die Mumie des Pharaos.

Am Folgetag wurden Journalisten in größerer Zahl ins Grab gelassen, was zu einer globalen Berichtswelle führte. In Karlsruhe unterrichtete nur das Karlsruher Tagblatt seine Leser am 27. Februar 1923 über die Öffnung der Grabkammer und zitierte dazu wiederum Lord Carnarvon im Wortlaut der Times, berichtete auch von den „Märchenschätzen“ in der hinter der Grabkammer gelegenen Schatzkammer des Grabes. Über die Öffnung der Grabkammer gab es nun auch Notizen in den anderen Karlsruher Zeitungen. Die Karlsruher Zeitung meldete am 6. März 1923, dass das Grab über die heißen Sommermonate nun wieder verschlossen und aus konservatorischen wie sicherheitstechnischen Gründen zugemauert worden sei.

Howard Carter öffnet die Tür des zweiten Schreins. In: Howard Carter: Tut-ench-Amun. Bd. 2. Leipzig 1927, Taf. 12. Fotografie von Harry Burton

Howard Carter öffnet die Tür des zweiten Schreins.
In: Howard Carter: Tut-ench-Amun. Bd. 2. Leipzig 1927, Taf. 12.
Fotografie von Harry Burton
Badische Landesbibliothek 66 A 223,2

Der Fluch

In der Grabungspause des Sommers 1923 richtete sich alle öffentliche Aufmerksamkeit auf den Tod von Lord Carnarvon. Aus einem Mückenstich an seiner Wange war beim Rasieren eine Wunde entstanden, die im unglücklichen weiteren Verlauf zu einer Sepsis führte. Er starb am 5. April 1923 in Kairo im Alter von 56 Jahren. Das Karlsruher Tagblatt meldete das am 8. April 1923, es setzte dem hinzu: „Interessant ist übrigens, daß, wie englische Blätter erzählen, sein Mißgeschick von dem abergläubischen ägyptischen Landvolk als Strafe dafür angesehen wird, daß er die geheiligten Grabstätten der Pharaonen entweiht und die Ruhe der Toten gestört habe.“

Letzteres aber wurde ein Selbstläufer. Über Jahre hinweg wurde auch in der badischen Presse immer wieder von plötzlichen Todesfällen berichtet, die der „Fluch des Pharao“ verursacht habe. Angeblich sei bei der Graböffnung eine tönerne Fluchtafel gefunden worden, die dann auf mysteriöse Weise verschwunden sei. Doch hat es diese Tontafel wohl nie gegeben. Trittbrettfahrer und Gerüchtekocher aller Art machten sie sich gleichwohl zunutze. Und Meldungen dieser Art waren in den Zeiten des Times-Exklusivvertrags, der bei Senkung der Beteiligung für die Ausgräber noch um ein zweites Jahr verlängert wurde, gratis zu haben, wohingegen seriöse Informationen zu bezahlen waren. Schon am 16. Juli 1923 berichtete das Durlacher Tageblatt vom Tod des Amerikaners Philipp Livingstone Poe, der „plötzlich unter ganz denselben Erscheinungen erkrankte wie der Lord“.

Zeitweise gab es Panik unter den Sammlern, die ihre Kunstobjekte aus der Pharaonenzeit ganz schnell und oftmals auch lieber anonym wieder loswerden wollten. Allen möglichen Personen, die in irgendeiner Weise an der Ausgrabung beteiligt waren oder das Grab besucht hatten und späterhin zu Tode kamen, wurde der Fluch zugeschrieben. Angeblich waren sie jeweils unter mysteriösen Umständen gestorben. Manche galten auch als Fluchopfer, die keineswegs starben, als die Zeitungen dies schon mutmaßten – so meldete die Badische Presse am 12. März 1925, der Botaniker in Carters Grabungsteam, Percy Newberry, sei „an einem Leiden erkrankt, das man bisher nicht erklären und für das man auch keine Heilmittel finden kann.“ Newberry verstarb allerdings erst 1949 im Alter von 81 Jahren. Und keineswegs starb Lady Carnarvon 1927 an einem entzündeten Insektenstich wie ihr Gatte, was mehrere Karlsruher Zeitungen ihre Leser glauben machen wollten – sie lebte noch bis 1969 und wurde 93 Jahre alt.

Bald unterlagen die Fluchopfer einer Zählung. Als drittes Opfer galt Georges Bénédite, Chefkonservator der Ägyptologie des Louvre, der tatsächlich nach dem Besuch des Pharaonengrabes 1926 in Luxor verstarb, wie auch die Karlsruher Presse vermeldete. Ihm folgten viele andere, von denen bis 1932 noch manche in den Karlsruher Gazetten Erwähnung fanden: als neuntes Opfer 1929 Richard Bethell, Sekretär Carters im Tutanchamun-Projekt, als 17. oder 20. Opfer 1930 dessen gleichnamiger Vater Richard Bethell Lord Westbury, dann der Junge, den der Wagen mit dessen Leiche überfuhr.

Es war ein Markt. Das Karlsruher Tagblatt druckte vom 21. Mai bis zum 27. Juni 1927 „Der Fluch des Pharao“ von Friedrich Lange als Fortsetzungsroman. Darin geht es um zwei Archäologen, einen Deutschen und einen Briten, die bei der Entdeckung des Grabes von Tutanchamuns Witwe konkurrieren. Der Deutsche erkrankt an einer mysteriösen Krankheit, von der ihn eine blonde Stahlerbin zu heilen hofft, die ihn der Schwester wegschnappt, in welche sich dann wiederum der Engländer verliebt. Auch Flugzeuge kommen vor.

Das Thema Pharaonenfluch beherrschte die öffentliche Wahrnehmung so stark, dass sich auch Howard Carter im zweiten Band seines Entdeckerberichts deutlich dazu äußern musste: „Das ägyptische Ritual hat für den Lebenden keinen Fluch dieses Inhalts, sondern nur eine Aufforderung, dem Toten fromme und wohlwollende Wünsche nachzusenden. Der Geist klugen Verständnisses fehlt dem albernen Geschwätz durchaus. Wir sind offenbar sittlich nicht so weit fortgeschritten seit der alten Vorzeit, wie gute Menschen es gern glauben.“

Kopf des Hausgottes Bes an der Staatskarosse des Pharao. Goldschmiedearbeit, gefunden in der Vorkammer des Grabes. Farbfotografie.

Kopf des Hausgottes Bes an der Staatskarosse des Pharao.
Goldschmiedearbeit, gefunden in der Vorkammer des Grabes. Farbfotografie.
In: Tutanchamon : Sonderheft der Woche. Berlin : Scherl, [1924].
Badische Landesbibliothek Mo 3650

 

Der Schrein

In der zweiten Grabungskampagne des Winters 1923/24 wurde in Tutanchamuns Grab die Wand zwischen Vorkammer und Grabkammer abgetragen, die erst nach Einbringung des Sarkophags in das Grab errichtet worden war. Ende Dezember 1923 begann dann die Demontage der ineinander verschachtelten Schreine. Auch in den Karlsruher Gazetten erschienen in den Rubriken „Vermischtes“ nun wieder Notizen zum Pharaonengrab. Im Januar 1924 konnte vermeldet werden, dass nach Öffnung der Schreine der völlig unbeschädigte steinerne Sarkophag des Pharaos zum Vorschein gekommen war. Der Badische Beobachter, die Zeitung der Zentrumspartei, brachte am 23. Januar 1924 den ergriffenen Bericht des Times-Korrespondenten über das „Auspacken“ des Sarkophags, in dem es heißt: „Die mächtige und wundervolle Arbeit, die prachtvolle Art des Schmuckes und der Skulptur, der strahlende Glanz der goldenen Türen und der Wände der verschiedenen Schreine, all das verschmolz zu einem großartigen Eindruck in dem mystischen mauvefarbenen Licht, das der elektrische Reflektor hinter uns über die Szene warf.“

Mit der Freilegung des Sarkophags startete eine Diskussion um die Totenruhe des Pharaos, die den ganzen Weg von der Öffnung des Schreins bis zur Untersuchung der Mumie begleiteten sollte. Das Durlacher Tageblatt wusste als erstes schon am 14. Januar 1924: „Wenn die für die Wissenschaft so wichtigen Inschriften entziffert sein werden, wird man Tutanchamens Leiche in seinem Grab in Frieden ruhen lassen.“ So ist es bekanntermaßen dann auch gekommen: Die Mumie des Königs ist in der Grabkammer verblieben, wo eine Plexiglasabdeckung sie vor Klimaschäden und Staubeintrag schützen soll. Aber eigentlich ist er jämmerlich nackt heute, der Pharao – all seiner Umhüllungen in Särgen und Schreinen, der Majestät des Todes entkleidet.

Transport des äußeren Schreindeckels in die Vorkammer. In: Howard Carter: Tut-ench-Amun. Bd. 2. Leipzig 1927, Taf. 11. Fotografie von Harry Burton

Transport des äußeren Schreindeckels in die Vorkammer.
In: Howard Carter: Tut-ench-Amun. Bd. 2. Leipzig 1927, Taf. 11.
Fotografie von Harry Burton
Badische Landesbibliothek 66 A 223,2

Der Eklat

Am 12. Februar 1924 wurde schließlich der Deckel des Sarkophags angehoben und schwebte, nur an Seilen gehalten, über demselben. Da kam es zum Eklat. Die gerade ins Amt gekommene nationalistische Regierung statuierte ein Exempel. Schon lange hatte der Exklusivvertrag zur Berichterstattung mit der Times für großen Ärger in Ägypten gesorgt. Hinzu kamen die Mutmaßungen, die sich auf eine Verschleppung der Grabschätze nach England bezogen. Carter und Carnarvon gingen nämlich davon aus, dass ihre Lizenz eine Fundteilung umfasste, dass sie also für ihren Einsatz privater Mittel bei der Grabung auch eine materielle Vergütung in Form von Fundobjekten erhalten würden; rechtlich vorgesehen war eigentlich eine hälftige Aufteilung. So war das in Ägypten seit 1884 geregelt gewesen, damit die archäologische Forschung im Land mit Mitteln privater Geldgeber überhaupt durchgeführt werden konnte. Es gab eine etwas weiche Regelung, dass die Funde dann, wenn ein Grab bereits gestört worden war, geteilt werden, aber dann, wenn ein Grab ungeöffnet vorgefunden wurde, an den ägyptischen Staat fallen sollten. Unabhängig davon, was denn nun auf das Grab des Tutanchamun zutraf, hatte sich an ihm die öffentliche Meinung endgültig gedreht: Die Funde sollten in Ägypten bleiben. Vollzählig.

Das Vorgehen von Vertretern der ägyptischen Antikenverwaltung gegenüber Carter hatte sich verschärft und ihm die Arbeit erschwert. Die Auseinandersetzung darüber, wer an der für den 12. Februar 1924 geplanten Öffnung des Sarkophags teilnehmen sollte und wer nicht, spitzte Carter zu einem Streik zu: Er beendete die Arbeiten, schloss das Grab ab und verweigerte die Herausgabe der Schlüssel. Die ägyptische Regierung beschlagnahmte daraufhin das Grab, ließ es aufbrechen und machte es ab dem 7. März 1924 wieder zugänglich. Allerdings blieb sie angewiesen auf das Expertenteam, das Carter aus allen verfügbaren Spezialisten zusammengestellt hatte. Und diese ließen sich nicht abwerben. Howard Carter ging erst einmal auf Vortragsreise in die USA.

In Karlsruhe brachten das Durlacher Tageblatt, das Karlsruher Tagblatt, der sozialdemokratische Volksfreund und die Karlsruher Zeitung Meldungen über den Vorfall. Letztere wusste: „Nachdem dem Leiter der Ausgrabungsarbeiten, dem Engländer Howard Carter, von der ägyptischen Regierung verboten worden war, das Grab Tutanchamons noch einmal zu öffnen und es sensationslüsternen englischen Damen wie ein Zirkus-Schauobjekt zu demonstrieren, ist jetzt eine sehr erhebliche Verschärfung des Konflikts eingetreten. Der Direktor der ägyptischen Altertümer, Lacal, hatte Herrn Carter die Herausgabe der Schlüssel zum Königsgrab und zu den Werkstätten verweigert. Carter hat jedoch kurzerhand die Grabtüren sprengen und die Türen zu den Werkstätten aufbrechen lassen.“ Klassische Fake News: es hatte sich ja gerade umgekehrt verhalten. Aber eine antibritische Attitüde passte nach Karlsruhe offenbar besser.

Nur mit elektrischem Licht: Howard Carter öffnet die Türen des vierten Schreins. In: Howard Carter: Tut-ench-Amun. Bd. 2. Leipzig 1927, Taf. 13. Fotografie von Harry Burton

Nur mit elektrischem Licht:
Howard Carter öffnet die Türen des vierten Schreins.
In: Howard Carter: Tut-ench-Amun. Bd. 2. Leipzig 1927, Taf. 13.
Fotografie von Harry Burton
Badische Landesbibliothek 66 A 223,2

Die Woche

Nachdem die Ausgräber ins Innerste des Grabes vorgedrungen waren und das ganze Unternehmen übersichtlicher geworden war, entschloss sich der Scherl Verlag in Berlin, die mit den Tantiemen an die Times verbundenen Kosten zu tragen und eine Reihe von Heften seiner Illustrierten Die Woche mit Berichten zum Pharaonengrab zu füllen. Der Verlag lizenzierte das gesamte Fotomaterial und zwar seinerseits mit dem alleinigen Reproduktionsrecht für alle Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland. Ab dem 23. Februar 1924 erschienen sechs Hefte, die sich dem Grab des Tutanchamun widmeten und mit seriösen Berichten von Fachautoren ihren Lesern ägyptologisches Grundwissen vermittelten. In Karlsruhe machte das Karlsruher Tagblatt seine Leser auf diese Veröffentlichungsserie aufmerksam und verwies auf den beigelegten Prospekt, der sich bei uns im Haus leider nicht erhalten hat. Wer die Artikel lesen wollte, war allerdings in der Badischen Landesbibliothek schlecht bedient: dort war die seit 1899 erscheinende Illustrierte nicht vorhanden.

Gekrönt wurde das Unternehmen der Woche im Mai 1924 mit einem Sonderheft im Umfang von 64 Seiten. Bei uns ist es in jenem Exemplar erhalten, das der Dichter Alfred Mombert, dessen Nachlassbibliothek samt einem Teilnachlass wir bewahren, sein Eigen nannte. Es umfasst neun Fachbeiträge, vor allem aber üppiges Bildmaterial, darunter auch ganzseitige Farbaufnahmen mit dem Kopf des Hausgottes Bes an der Staatskarosse des Pharao, dem Löwenkopf an einem der Prunkbetten in der Vorkammer und dem Sandsteinsarkophag hinter den geöffneten Türen der vier vergoldeten Schreine. Der einschlägig für fantastische Themen ausgewiesene Schriftsteller Hanns Heinz Ewers steuerte einen Beitrag zur „Rache des Pharao“ bei.

Die Situation, in der das Heft erschien, war allerdings prekär, da gerade niemand wusste, wie es im Tal der Könige weitergehen würde. Im einführenden Aufsatz des Hildesheimer Museumsdirektors Günther Roeder stellt sich der jüngste Skandal wie folgt dar: „Mr. Carter stellte die Arbeit ein, als ägyptische Polizei das Grab besetzt hatte. Die Regierung antwortete mit der Entziehung der Erlaubnis zur Grabung im ‚Tal der Könige‘. Mr. Carter erhob Klage auf Herausgabe des Grabes und schickte als seinen Verteidiger Maitre Maxwell zu Morkos Hanna, dem Minister der öffentlichen Arbeiten. Dieser, ägyptischer Nationalist wie das ganze Ministerium der eben um die erste politische Selbständigkeit kämpfenden Ägypter, kannte Maxwell von früher her, als jener gegen ihn die Todesstrafe wegen Hochverrats beantragt hatte. Jetzt trat man sich in anderen Rollen gegenüber, und Kairo hat eine Sensation gehabt wie seit Jahren nicht.“

Besonders pittoresk ist eine Werbeanzeige im Vorderdeckel des Sonderheftes. Dort wirbt die Allradio-Gesellschaft für Funk- und Fernmeldeapparate m.b.H. für das Rundfunkgerät mit Rückkopplung der Schuchhardt AG, und die ganzseitige Abbildung einer Lithographie der Grafikerin Charlotte Pfeil zeigt ein reisendes Paar mit Rundfunkgerät in ägyptischer Szenerie zwischen Pyramiden, Palmen und Kamelreiter. Erst am 29. Oktober 1923, gerade mal ein halbes Jahr zuvor, hatte der erste deutsche Radiosender in Berlin den regelmäßigen Sendebetrieb aufgenommen. Im Jahr 1924 waren nicht mehr als 1.580 Radiogeräte gebührenpflichtig angemeldet – die Werbung für ein privates Radio war also vorderste Spitze der technischen Avantgarde.

Werbeanzeige für das Allradio. In: Tutanchamon : Sonderheft der Woche. Berlin : Scherl, [1924].

Werbeanzeige für das Allradio.
In: Tutanchamon : Sonderheft der Woche. Berlin : Scherl, [1924].
Badische Landesbibliothek Mo 3650

Das Entdeckerbuch

Ebenfalls im Sonderheft der Woche und zwar auf der Innenseite des Rückumschlags hat der Brockhaus Verlag eine ganzseitige Anzeige für die „einzige deutsche Buchausgabe der Tut-ench-Amun-Bilder mit dem spannenden Originalbericht des Entdeckers“ untergebracht. Reißerisch wird das Buch angepriesen: „Die lebendige Schilderung führt von Spannung zu Spannung, so daß der Leser erfüllt wird von den Sorgen und den Freuden des Entdeckers, und daß er auch zittert vor dem Geheimnis der versiegelten Tür. […] Seit Carters ersten Nachrichten aus dem Tal der Könige steigerte sich der Wissensdrang der Welt zu fieberhafter Erregung, und wenige Bücher sind so ungeduldig erwartet werden [sic] wie dieser schlichte, wahrheitsgetreue Bericht. Wer einmal den Ruf Tut-ench-Amuns gehört, der wird sich von dem Werk nicht trennen können. …“

Das große öffentliche Interesse am Grab des Tutanchamun hatte Carter veranlasst, gemeinsam mit seinem engsten Mitarbeiter Arthur C. Mace einen Entdeckerbericht zu veröffentlichen, der parallel zu den sich über zehn Jahre hinweg erstreckenden Arbeiten erschien. Eine wissenschaftliche Publikation der Funde konnte es ja erst geben, wenn das Grab und sein Inhalt vollständig dokumentiert worden wären. Der erste Band des Berichts erschien bereits im Herbst 1923 in England. Seine Übersetzung ins Deutsche lag im Mai 1924 im Brockhaus Verlag vor. Billig war er nicht – die Ausstattung mit 104 Abbildungen auf 63 Kunstdrucktafeln war aufgrund der Herstellung, aber natürlich auch der an die Times zu zahlenden Lizenzgebühren kostspielig und führte zu einem Verkaufspreis von 13 Goldmark.

Wahrscheinlich versorgte der Brockhaus Verlag die Zeitungen im Deutschen Reich mit Abdruckgenehmigungen von Textausschnitten zu Werbezwecken: Im Karlsruher Tagblatt vom 18. März 1924 ist eine längere Passage „Wie wir das Grab des Tut-ench-Amun fanden“ aus der deutschen Übersetzung abgedruckt mit dem Hinweis auf das aktuelle Erscheinen des Buches. Begleitend reiste Ernst Vatter, Ethnologe am Frankfurter Völkerkundemuseum, als Referent durch das Land und hielt am 20. März 1924 in Karlsruhe einen Lichtbildervortrag über das Pharaonengrab, der in allen örtlichen Zeitungen annonciert und anschließend mehr oder weniger ausführlich referiert wurde. Weil viele interessierte Besucher keine Karten erhalten hatten, wurde der Vortrag am 25. April 1924 wiederholt. Der Badische Beobachter brachte am 4. Juli 1924 eine ausführliche, sehr blumige Besprechung des Entdeckerberichts. Diesen bewarb als Reisender in Sachen Tutanchamun im Herbst 1924 auch Gustav Adolf Müller, der – wie die Zeitungen melden – mit archäologischen Lichtbildvorträgen im Auditorium der Technischen Hochschule auftrat, worüber dann wiederum das Karlsruher Tagblatt am 4. Oktober 1924 ausführlich berichtete.

Die beiden Folgebände erschienen auf Deutsch in den Jahren 1927 und 1934. Brockhaus unterstützte den Verkauf auch jetzt wieder durch kostenfreie Leseproben, etwa in der Badischen Presse vom 30. April 1927

Werbeanzeige des Brockhaus Verlags für den ersten Band des Entdeckerberichts. In: Tutanchamon : Sonderheft der Woche. Berlin : Scherl, [1924].

Werbeanzeige des Brockhaus Verlags für den ersten Band des Entdeckerberichts.
In: Tutanchamon : Sonderheft der Woche. Berlin : Scherl, [1924].
Badische Landesbibliothek Mo 3650

Die Landesbibliothek

Über den Absatz des Entdeckerberichts durch die Karlsruher Buchhandlungen können wir leider keine Aussage treffen. Wir wissen auch nicht, wie häufig die drei Bände aus den Beständen der Badischen Landesbibliothek ausgeliehen wurden. Wir wissen aber aus unserem Historischen Katalog, dass unsere Bibliothek den ersten Band keineswegs sofort nach seinem Erscheinen erworben hat: Erst im Verlauf des Jahres 1925 wurde er unter der Zugangsnummer 1972 in den Bestand aufgenommen. Da war die Aufmerksamkeitswelle des Jahres 1924 aber schon verebbt.

Heute verfügen wir in der Badischen Landesbibliothek über zwei Exemplare des Werkes. Eines wurde 1966 bei Hauswedell in Hamburg ersteigert. Warum es überhaupt gekauft wurde, ist rätselhaft, denn das ursprünglich 1925 bis 1934 erworbene Exemplar hatte als eines der ganz wenigen Werke den Zweiten Weltkrieg und die Vernichtung des Buchbestandes der Badischen Landesbibliothek am 2./3. September 1942 überstanden. Das ist unzweifelhaft, denn die Bände tragen auf dem Vorsatz noch die originalen Inventarnummern. In den Inventarbüchern unseres Hauses sind sie, wie alle Bücher, die den Brand überlebten, unter einer Inventarnummer des Jahres 1942 neu erfasst worden. Sollte das erst nach 1966 geschehen sein, weshalb das Werk im Bibliothekskatalog bei der Hauswedell-Auktion nicht enthalten war? Oder hat die Bibliothek 1966 eine Dublette ersteigert? Das weiß heute keiner mehr.

Katalogkarte aus dem Historischen Katalog der Badischen Landesbibliothek mit dem Nachweis des Entdeckerberichts von Howard Carter im Bibliotheksbestand bis 1942

Katalogkarte aus dem Historischen Katalog der Badischen Landesbibliothek mit dem Nachweis des Entdeckerberichts von Howard Carter im Bibliotheksbestand bis 1942

Der Karneval

Im Jahr 1925 hatte es der Pharao übrigens auch schon zur Karnevalsattraktion geschafft: Wie das Karlsruher Tagblatt, die Badische Presse und der Badische Beobachter übereinstimmend berichteten, waren beim Liederhalle-Maskenball im Februar 1925 die Mumien Tutanchpapa und Tutanchmama zugegen, „die aus ihrem hypnotischen Schlaf nur auf Befehl des Magnetiseurs erwachten.“

Und der Landbote aus Sinsheim berichtete am 20. Februar 1925 folgende Anekdote: „Bei einem Ball in der amerikanischen Stadt Atlanta erschien ein Herr in der Maske Tutankamens. Er hatte es nicht verabsäumt, sich als Mumie einbalsamieren und bandagieren zu lassen und trug eine Art Sarkophag mit sich herum, der mit allen möglichen mystischen Zeichen bemalt war. Er gewann wohl den ersten Preis unter den originellsten Masken. Der Sarkophag hinderte ihn jedoch derart, daß er ihn lieber in der Garderobe ablegte, um ungehindert tanzen zu können. Wie es sich nachträglich herausstellte, besaß der tragbare Sarg eine vollständige Garnitur verbotener Liköre, die er nach der Mitternachtspause als ‚Balsam‘ verteilen wollte. Inzwischen war sowohl der Sarg, als auch die Getränke aus der Kleiderablage spurlos verschwunden.“ Seit Januar 1920 herrschte in den USA strikte Prohibition

Die Mumie

Die ägyptische Antikenverwaltung hatte die bestehende Grabungskonzession mit Lady Carnarvon gekündigt und setzte nun eine neue auf, die ihr die absolute Kontrolle der Arbeiten garantierte und die Rechte an den Funden vorbehielt. Auch die Presse-, Bild- und Publikationsrechte sowie das Besuchermanagement gingen an den ägyptischen Staat. Die Ausgräber konnten aus ihrer Arbeit keinerlei Gewinn mehr erzielen. Im Interesse der Sache verzichteten sie auf jedwede Ansprüche. Was genau die Geschäftsgrundlage war, blieb gleichwohl offen. Bis Lady Carnarvon 1930 eine Abfindung für die ihr entstandenen Grabungskosten erhielt, hatte die ägyptische Regierung fünfmal gewechselt.

Nachdem die nationalistische Regierung im November 1924 schon wieder hatte abdanken müssen, kehrte Carter nach Ägypten zurück und einigte sich mit der Antikenverwaltung auf ein gemeinsames Vorgehen. Er und seine Mitstreiter nahmen am 25. Januar 1925 die Arbeiten im Grab wieder auf und mussten sich aufgrund der außer Kontrolle geratenen Fundsituation erst einmal mit konservatorischen Fragen befassen. Das Karlsruher Tagblatt hatte seine Leser die zweite Jahreshälfte 1924 hindurch über Carters Absichten auf dem Laufenden gehalten. Wie die anderen Karlsruher Zeitungen auch veröffentlichte es am 15. November 1925 eine Agenturmeldung von Wolffs Telegraphischem Bureau, dass die Mumie Tutanchamuns nun aus ihrer Umhüllung herausgenommen worden war. Die Mitteilung, eine Untersuchung der Füße habe ergeben, „daß Tutankhamen bei seinem Tode etwa 50 Jahre alt war“, traf allerdings nicht zu. Das Durlacher Tageblatt, das diese Agenturmeldung ebenfalls abgedruckt hatte, korrigierte sich eine Woche später und wusste von der ärztlichen Feststellung zu berichten, „daß Tutankhamon im Alter von 18 Jahren gestorben sein muß.“

Die nächste Agenturmeldung, die es in die Karlsruher Zeitungen schaffte, war Anfang Januar 1926 die Nachricht von der Überführung des Sarkophags nach Kairo. „Tutanchamon wird röntgenisiert“ titelte dann der Mittelbadische Courier am 29. April 1926. Man wolle dadurch die Todesursache des jungen Herrschers ermitteln und Näheres über die Art der Einbalsamierung herausfinden, ohne die Mumie zu schädigen. Allerdings finde sich kein Röntgenologe, der freiwillig die Untersuchung übernehme. Man fürchte sich wohl doch auch in der Wissenschaft vor der „verderbenden Macht der zauberhaften Mumie“. Als Aufreger zum Thema Mumie folgte dann im Dezember 1926 ein Betrugsskandal, als der schwunghafte Handel des Amerikaners Hastings mit gefälschten Mumien aufgedeckt wurde: das Karlsruher Tagblatt berichtete ausführlich.

Untersuchung der Königsmumie. In: Howard Carter: Tut-ench-Amun. Bd. 2. Leipzig 1927, Taf. 28. Fotografie von Harry Burton

Untersuchung der Königsmumie.
In: Howard Carter: Tut-ench-Amun. Bd. 2. Leipzig 1927, Taf. 28.
Fotografie von Harry Burton
Badische Landesbibliothek 66 A 223,2

Die Nebenkammern

„Kaum ist der Tutanchamonrummel verrauscht“ begann ein Artikel der Badischen Presse, der von der Entdeckung des Königinnengrabes der Hetepheres I. in Gizeh berichtet, das man zunächst für das Grab des Pharaos Snofru hielt. Das Tutanchamungrab war noch gar nicht geräumt, die Arbeiten dauerten fortwährend an. Aber nur wenige Nachrichten schafften es noch in die Karlsruher Presse: ein Flakon aus dem Grab, dessen organischer Inhalt sich erhalten hatte und chemisch untersucht werden konnte, die erfolgreiche Aussaat von Weizenkörnern aus dem Grab in Kanada, von der das Karlsruher Tagblatt, der Sinsheimer Landbote und der Badische Beobachter berichteten und die den Beweis für die Keimfähigkeit 3.000 Jahre alter Weizenkörner erbrachte, oder die ebenfalls im Grab deponierten Bumerangs, die für sportliche oder rituelle Zwecke gebraucht worden waren.

Das Ende

Eine letzte Meldung von der Freilegung des Tutanchamun-Grabes brachte der Badische Beobachter am 15. Januar 1931, als er die Mitteilung Howard Carters abdruckte, das Grab sei nun vollständig geräumt und gesäubert. 1932 schließlich waren die Arbeiten beendet. Die letzten Objekte wurden nach Kairo verschifft. Als dann auch sein Kontrahent Arthur Weigall starb, laut Mittelbadischem Courier „das 21. Opfer Tutanchamuns“, und kurz darauf Albert Lythgoe, der Chef-Ägyptologe des Metropolitan Museum of Art, war Howard Carter nach der Fluchtheorie der letzte Überlebende seiner Expedition. Er starb 1939, ohne den wissenschaftlichen Ertrag seiner spektakulären Grabung publiziert zu haben.

Nachdem mittlerweile Millionen von Touristen das Grab des Tutanchamun besucht haben, hat es unbestreitbar Schaden erlitten. Der Eintrag von Staub und Schmutz, von Mikroorganismen und Feuchtigkeit, die irreversiblen Lichtschäden, auch durch fotografierende Besucherinnen und zahllose Filmteams, das Entlangschrammen an den bemalten Wänden, dazu eindringendes Wasser: all das hat in hundert Jahren ramponiert, was vorher 3.000 Jahre lang im Dunkel unversehrt erhalten geblieben war. 2014 wurde am Eingang zum Tal der Könige eine perfekte Rekonstruktion des Grabes aufgestellt, die schlecht angenommen wird, denn alle, die nach Ägypten reisen, wollen natürlich das Original sehen. Zutritt besteht nur zur Vorkammer. Sie zu betreten kostet etwa 15 EUR pro Person.

Die Presse in Deutschland hat in den Tagen vor dem Jubiläum schon vielerorts an den „Weltstar“ Tutanchamun erinnert. Die Fernsehsender füllen ihre Mediatheken mit Filmmaterial über den Pharao. Was in Karlsruhe in der Zeitung stehen wird, sammelt die Badische Landesbibliothek.

Die Bücher

In unsern Beständen haben wir eine Vielzahl von Büchern über den Pharao Tutanchamun und sein Grab aus den letzten hundert Jahren. Und natürlich auch darüber hinaus Hunderte von Titeln übder die altägyptische Kultur. Hier nur ein Hinweis auf die allerneuesten Bücher und auf diejenigen, die oben im Text erwähnt sind.

Aktuelle Neuerscheinungen

  • Nadja Tomoum: Das Geheimnis des Tutanchamun : der goldene Pharao und seine abenteuerliche Wiederentdeckung. - München : C.H. Beck, [2022].
    122 A 9979
  • Howard Carter und das Grab des Tutanchamun : Geschichte einer Entdeckung. Hrsg. vom Griffith Institute ; aus dem Englischen von Cornelius Hartz ; Einleitung: R. B. Parkinson. Darmstadt : wbg Philipp von Zabern, [2022].
    122 B 531

Der Ausstellungskatalog von 1980/81

  • Tutanchamun : Berlin, Ägyptisches Museum der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, 16. Februar-26. Mai 1980 / Katalog: Gesamtredaktion: Jürgen Settgast. - Mainz : Verlag Philipp von Zabern, 1980.
    80 A 7518

Der Entdeckerbericht von Howard Carter

Das Sonderheft der Woche von 1924

Über den Grabfund in der zeitgenössischen Presse

  • Anja Otto: Schlagzeile Tutenchamun : die publizistische Begleitung der Entdeckung und der Ausräumung des Grabes von Tutenchamun. - Marburg : Tectum-Verl., 2005.
    105 A 6019

Weitere Beiträge zur Zeitungsarchäologie

Nr. 1: Zeitungsarchäologie! Vom Nutzen der Tagespresse für die Biographienforschung. Anlässlich des 150. Todestages von Eduard Nickles (14.6.2021)

Nr. 2: Auktionspech und Schaustellerzettel. Zu Schausteller-Darbietungen in Karlsruhe 1831 bis 1833 (9.2.2022)

 

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