Abgesang auf die Plastiktüte

Julia von Hiller 31.12.2021 13.00 Uhr

DOI: https://doi.org/10.58019/5h1v-0934

Ab morgen gilt in Deutschland ein Verbot für leichte Plastiktragetaschen, üblicherweise genannt: Plastiktüte. Im Text des Verpackungsgesetzes heißt es genau: „Letztvertreibern ist ab dem 1. Januar 2022 das Inverkehrbringen von Kunststofftragetaschen, mit oder ohne Tragegriff, mit einer Wandstärke von weniger als 50 Mikrometern, die dazu bestimmt sind, in der Verkaufsstelle mit Waren gefüllt zu werden, verboten.“ Ein Verstoß gegen das Verbot wird als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeldern geahndet werden. Nur ultraleichte Kunststoffbeutel mit einer Wandstärke von weniger als 15 Mikrometern für den Transport von losem Obst und Gemüse, Fleisch oder Wurstwaren bleiben erlaubt.

BLB-Plastiktüte gefüllt mit Büchern bei nassem Wetter.

BLB-Plastiktüte bei nassem Wetter

Aus Sicht der Bestandserhaltung ist dieses Verbot zu bedauern. Wie oft bringen uns Benutzerinnen Bücher zurück, die bei unerwartetem Regenguss den Hin- oder Rücktransport im Stoffbeutel nur nass überstanden haben und denen auch das Bügeln feuchter Seiten nicht geholfen hat. Der schlimmste Feind der Bücher ist der Schimmel. Der bildet sich unvermeidlich, wenn Bücher nass werden. Er baut das Papier stark ab und macht sie unbrauchbar. Viel schlimmer aber ist, dass er sich fliegend im Büchermagazin verbreitet und andere Bände kontaminiert. Außerdem gefährdet er die Gesundheit der Leser, die schimmelbefallene Bände entleihen.

Wie froh waren unsere Benutzerinnen und Benutzer daher oft, wenn wir ihnen eine Plastiktragetasche verkaufen konnten, die den Trockentransport der Lektüre ins eigene Heim gewährleistete. Und wie froh waren wir selbst, wenn wir unsere Bücher dadurch geschützt wussten. Zum Designklassiker im Straßenbild, zur Grafik-Ikone der Konsumgesellschaft wie die Tüten von Aldi und Lidl, von Karstadt und Hertie, aber auch zum Accessoire des markenbewussten Bibliotheksbenutzers hat es unsere BLB-Tasche nicht geschafft: Dafür war unser Umgang mit ihr dann doch zu sparsam. Unsere Restbestände haben wir nicht vergeudet. Und deshalb haben wir jetzt noch kartonweise davon übrig: Polytragetaschen Standard, Größe: 37x45+5 cm, Stärke: 50 my, Qualität: Folie Low Density Polyethylen, Farbe: weiß mit Farbdruck im BLB-Design, Griff: Stanzgriff mit eingeklebtem Verstärkungsband. Schade eigentlich. Sie könnten unserem Buchbestand noch nützliche Dienste leisten.

Aber die Geschichte der Plastiktüte ist zu Ende. Die Plastiktüte wird jetzt museal. Und glücklich derjenige, der ein Sammlerstück besitzt und es eines Tages teuer verkaufen kann. Dabei hat diese Geschichte erst 1965 angefangen, als die Firma Windmöller und Hölscher im westfälischen Lengerich die erste Maschine für eine vollautomatische Produktion von Polyethylen-Tragetaschen auf den Markt brachte – sie konnte in einem Produktionsgang die Nähte verschweißen, den Boden falten, die Grifflöcher stanzen und verstärken. Die Konjunktur der Plastiktüte verlief parallel mit der Karriere der Supermärkte und Discounter und beides ist nicht denkbar ohne die moderne Warenwelt, in der der Überfluss lauter Gelegenheitskäufe zeitigte – welche die Plastiktüte brauchten, um nach Haus getragen werden zu können. Früh gab es schon Gegenwind mit der „Jute-statt-Plastik“-Kampagne von 1978, die zu meinen ganz persönlichen politischen Erweckungserlebnissen gehörte, aber nachhaltig war dieser Widerstand nicht.

BLB-Plastiktüte als Sattelschutz bei Nässe

BLB-Plastiktüte als Sattelschutz bei Nässe

Der Aufstieg der Plastiktüte zum Inbegriff der Wegwerfgesellschaft war phänomenal. Und ihr Anteil an der Umweltverschmutzung auch. Denn das Produkt aus Polyethylen zersetzt sich sehr langsam. Sein Zerfall dauert viele Jahrzehnte. Es zerfällt auch nur in immer kleinere Teilchen bis hin zu Mikropartikeln, vollständig abgebaut wird es nie. Und das Mikroplastik der Tüten findet sich überall, vor allem in den Weltmeeren, wo es die Organismen der Meerestiere und Vögel schädigt. In den Mägen vieler Fische und Seevögel finden sich massenhaft Kunststoffpartikel, die für Nahrung gehalten wurden. Über die Nahrungskette fällt das Mikroplastik auch auf die Menschheit zurück.

Schon 2016 gab es eine erste Einschränkung, als sich das Bundesumweltministerium mit dem Handelsverband Deutschland darauf einigte, dass Kunststofftragetaschen nur noch gegen Bezahlung angeboten werden durften. Sie hatte Folgen: Seit 2015 ging der Verbrauch um mehr als 60% zurück. Aber noch 2019 wurden in Deutschland 1,49 Milliarden neuer Plastiktüten in den Umlauf gebracht, pro Einwohner 18 Tüten. Und der Plastikmüll in Deutschland wird auch nicht weniger, sondern trotz der verschiedenen Verbote immer noch mehr.

Mit Mehrweg-Tragetaschen aus Polyester, die wir unseren Benutzerinnen und Benutzern zum Selbstkostenpreis verkaufen, haben wir keine guten Erfahrungen gemacht. Sie waren den meisten schlicht zu teuer. Sie taugten auch nicht zum Schutz des Fahrradsattels bei Regen oder zur Zweitverwendung als Mülltüte. So bleibt uns nur, auf den bereits eingetretenen Erziehungs- und Entwöhnungseffekt zu setzen und darauf zu vertrauen, dass unsere Benutzerinnen und Benutzer unsere Bücher wohlverpackt in selbst mitgebrachten Taschen, Körben oder Rucksäcken durch Karlsruhe transportieren. Manche kommen ja auch gleich mit dem Einkaufstrolley. Hauptsache trocken!

Literaturempfehlung:

Tüten aus Plastik : eine deutsche Alltags- und Konsumgeschichte / Frank Lang und Christina Thomson. - München ; London ; New York: Prestel, 2021.
Signatur: 121 B 963

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