„Gegen Schmutz und Schund“ – die Bücherverbrennung in Karlsruhe am 17. Juni 1933

Frédérique Renno 16.6.2023 18 Uhr

DOI: https://doi.org/10.58019/0gpm-mp40

Dieses Jahr gab es bereits zahlreiche Gedenkveranstaltungen und Erinnerungsprojekte zu den Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten: Zwischen März und Oktober 1933 warfen die Nationalsozialisten an über 160 Orten Werke der von ihnen verfemten Bücher ins Feuer. Ein unrühmlicher Höhepunkt war die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 in etwa zwanzig deutschen Universitätsstädten, die von der Öffentlichkeit mit großer Aufmerksamkeit begleitet wurde. Werke aus Kunst, Wissenschaft und Philosophie, Politik, Lyrik und Romanliteratur wurden – von sogenannten „Feuersprüchen“ begleitet – den Flammen übergeben. Es waren Bücher von jüdischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern, Texte der kulturellen Moderne und Schriften, die auf die Freiheit der Meinung, des Denkens, der Kunst und der Forschung beharrten. Vernichtet wurden Werke von Sigmund Freud, Rosa Luxemburg, Albert Einstein, Karl Marx, Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, Bertolt Brecht, Anna Seghers, Kurt Tucholsky, Bertha von Suttner, Erich Kästner und vielen anderen mehr. In der Parteizeitung der Nationalsozialisten Der Führer vom 16.6.1933 wurden die Namen einzeln aufgelistet:

Der Screenshot zeigt einen Artikel im Jungen Freiheitskämpfer, der Beilage zum Führer, vom 16. Juni 1933, in dem verfemte Literatur beschrieben wird.

Ausgabe von Der junge Freiheitskämpfer, Beilage zu Der Führer vom 16. Juni 1933. – zum Digitalisat

In Karlsruhe fand eine solche „Aktion wider den undeutschen Geist“, wie die Bücherverbrennungen von den Nationalsozialisten genannt wurden, nicht zeitgleich statt. Unter dem Eindruck der deutschlandweiten Ereignisse im Mai 1933 rief der badische Führer der Hitlerjugend Friedhelm Kemper zwei „kulturelle Kampfwochen gegen Schmutz und Schund“ aus, in denen die so bezeichnete Literatur in den Buchhandlungen und öffentlichen Bibliotheken von der Hitlerjugend eingesammelt werden sollte. Ab dem 14. Juni 1933 zogen die Kolonnen der Hitlerjugend durch die Stadt und beschlagnahmten die verfemten Werke. Auch in der Presse wurde über diese Aktion berichtet, so zum Beispiel im Badischen Beobachter vom Freitag, dem 16. Juni 1933:

Der Screenshot zeigt einen Artikel im Badischen Beobachter vom 16. Juni 1933, in dem über die Bücherverbrennung in Karlsruhe berichtet wird.

Morgenausgabe des Badischen Beobachters vom 16. Juni 1933, S. 6. – zum Digitalisat

Am Samstag, dem 17. Juni 1933, wurden die eingesammelten Werke trotz starken Regens auf dem Schlossplatz ins Feuer geworfen. Der neue badische Kultusminister Otto Wacker hielt eine Brandrede, die in den darauffolgenden Wochen eine erneute Säuberungswelle in den Bibliotheken zur Folge hatte. In der badischen Presse wurde breit über diese Bücherverbrennung auf dem Schlossplatz berichtet. So gab es Artikel am 18. Juni 1933 in der Badischen Presse, im Führer und im Karlsruher Tagblatt, einen Tag später erschien ebenfalls ein Bericht in der Karlsruher Zeitung. Auch im Badischen Beobachter, die Parteizeitung der katholischen, konservativ ausgerichteten Zentrumspartei, die sich schon gut einen Monat später, am 20. Juli 1933, als letzte „bürgerliche“ Partei selbst auflöste, wurde das Geschehen kommentiert: Bereits am 14. Juni 1933 äußerte sich die Zeitung unter der Überschrift „Erfreulicher Kulturkampf“ und bezieht Position:

„Hier ist der Gegner des Staates auch unser Gegner, wenn wir richtig verstehen, daß es gegen Schmutz und Schund, gegen Verführung der Jugend und alle Schlupfwinkel und Herde der Fäulnis der Entartung des sittlichen Lebens im deutschen Volke gehen soll. Kulturkampf wird da zum Kampf für die Kultur. Das Feuer der Scheiterhaufen ist das Symbol für den Ingrimm verschütteter und verunstalteter Menschenherzen, der Aufschrei einer in ihrer Menschenwürde bedrohten Jugend zum Licht der Reinheit.

Auch wenn da und dort der religiöse Inhalt fehlt, so ist doch diese von der Hitlerjugend erfreulich aufgenommene Bewegung ein vielverheißendes Zeichen, daß das ewige Heimweh nach Freiheit von erniedrigendem Ballast der Seele heute aufs neue eine Volksangelegenheit wird: ein Volk will rein sein, ein Volk will aufsteigen durch Tugend.“

Diese positive Haltung zu den Bücherverbrennungen wurde in einem zweiten Artikel unter dem Titel „Ein ernstes Wort zur Bücherverbrennung“ vom 18. Juni 1933 nochmals bestätigt:

„Vor wenigen Tagen […] haben wir die Stellung des katholischen Volksteils zur Bekämpfung von Schmutz und Schund dargelegt. Daß sie positiv ist und jeden sinnvollen Kampfakt gegen die Krebsseuche an unserem Volke begrüßt, wurde als selbstverständlich bezeichnet. Dazu brauchten wir keine Aufmunterung von irgend einer Seite her. Unser Kampf ist älter, so alt wie die Kirche selbst. Die Mittel waren auf katholischer Seite nicht nur der Scheiterhaufen, sondern die Arbeit für das gute Buch und seine weiteste Verbreitung. Ohne diese Arbeit wäre Deutschland kultur- und sittenlos.“

Der Screenshot zeigt einen Artikel im Badischen Beobachter vom 19. Juni 1933, in dem über die Bücherverbrennung in Karlsruhe berichtet wird.

Morgenausgabe des Badischen Beobachters vom 19. Juni 1933, S. 9. – zum Digitalisat

Trotz dieser Äußerungen wurde auch in der Bibliothek des katholischen Borromäusvereins nach Büchern und sogar nach Ausgaben des Badischen Beobachters gefragt, was deutlich zeigt, dass trotz der Anbiederung an die Nationalsozialisten auch die konservative Presse deutlich unter Beobachtung stand.

In der zweiten sogenannten „kulturellen Kampfwoche“ Ende Juni 1933 wurden zudem ausdrücklich die Heimatsänger, -dichter und -musiker geehrt. Dazu äußerte sich bereits am 17. Juni 1933 der Mittelbadische Curier:

„Wenn heute abend die Feuerstöße erloschen sind, auf denen undeutsche und antideutsche Bücher verbannt wurden, ist der Weg frei für den Kampf für das gute deutsche Buch. Nicht in der Ausrottung des Schlechten darf das Ziel der Kampfwochen gesehen werden, sondern in dem Eintreten für das Gute!“

Der Screenshot zeigt einen Artikel im Mittelbadischen Courier vom 17. Juni 1933, in dem über die Bücherverbrennung in Karlsruhe berichtet wird.

Ausgabe des Mittelbadischen Curiers vom 17. Juni 1933, S. 6. – zum Digitalisat

Keine der badischen Zeitungen, die im Juni 1933 noch erschien, berichtete kritisch oder negativ über die Bücherverbrennung in Karlsruhe am 17. Juni 1933. Im Gegenteil: Meist wurde die Rede des Kultusministers Otto Wacker wiedergegeben; die eigentlichen Ereignisse wurden nicht hinterfragt oder gar infrage gestellt. Dies dürfte auch an der massiven Pressezensur gelegen haben, da ab dem 4. Februar 1933 die „Verordnung zum Schutze des deutschen Volkes“ galt. Die Zeitungen konnten also längst nicht mehr unabhängig und selbstständig agieren. Dies kann man selbst nachlesen, wenn man sich die digitalisierten Zeitungen in den Digitalen Sammlungen der Badischen Landesbibliothek anschaut.

 

Im Rahmen ihrer Digitalen Sammlungen gewährt die Badische Landesbibliothek zu Zwecken der Wissenschaft, Forschung und Lehre Zugang zu zeitgeschichtlichen Dokumenten. Sie weist darauf hin, dass in dieser Sammlung auch Zeitungen und andere Quellen aus der Zeit des Nationalsozialismus enthalten sind. Die Badische Landesbibliothek distanziert sich ausdrücklich von allen nationalsozialistischen, rassistischen und gewaltverherrlichenden Inhalten.

 

Weiterführende Hinweise:

Heute erinnert eine Stele auf dem westlichen Schlossplatz in Karlsruhe an die Bücherverbrennung vor 90 Jahren.

Richard Ovenden: Bedrohte Bücher: eine Geschichte der Zerstörung und Bewahrung des Wissens. Berlin: Suhrkamp, 2021.

Jürgen Serke: Die verbrannten Dichter: Lebensgeschichten und Dokumente. Göttingen: Wallstein Verlag, [2023].

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