Zur Eröffnung der neuen Ausstellung: Max Reger und sein Interpret Karl Straube

Jürgen Schaarwächter (Gastautor) 30.9.2023 13 Uhr

DOI: https://doi.org/10.58019/b3tp-mt26

Max Reger und Karl Straube: Gerade aus Sicht vieler Organisten bilden die zwei Männer eine unauflösliche Einheit. Wie weitgehend die beiden Künstler miteinander verwoben waren, versuchen wir in dieser Ausstellung zu skizzieren, die seit dem 27. September 2023 in der Badischen Landesbibliothek zu sehen ist.

Ein Problem bei der Vorbereitung einer solchen Ausstellung ist für uns nicht selten ein Luxusproblem – aus den reichen Beständen des Max-Reger-Instituts Karlsruhe auszuwählen. Ein großer Teil der diesmal gezeigten Exponate wurde 1958, vor 65 Jahren also, erworben, mittelbar aus dem Nachlass Karl Straubes, dessen Witwe Regers Manuskripte veräußert hatte. Die jüngste Neuerwerbung aus Straubes Nachlass erfolgte 2017 – möglicherweise das berühmteste Orgelwerk Regers überhaupt, Phantasie und Fuge über B-A-C-H op. 46. Bis 1900 verfasste Reger für Karl Straube, der viele Uraufführungen seiner Orgelwerke spielte, eigene Handschriften dieser Orgelwerke, häufig aus dem simplen Grund, dass sich die Werke noch im Druckprozess befanden und die Uraufführung nicht selten bereits vor Drucklegung erfolgte.

Die Abbildung zeigt die erste Seite der Notenhandschrift für die Phantasie und Fuge über B-A-C-H op. 46 von Max Reger.

Max Reger, Phantasie und Fuge über B-A-C-H op. 46 (1900), Notenhandschrift für Karl Straube, S. 1
Max-Reger-Institut, Mus. Ms. 204 – erworben 2017

Zwei Künstler im intensiven Austausch

Max Reger und Karl Straube stammten aus ganz unterschiedlichen sozialen Kreisen: Straube wuchs in einem wohlhabenden musisch geprägten Elternhaus in der Großstadt Berlin mit einem Maler als älterem Bruder auf; der in der kleinstädtischen Oberpfalz aufgewachsene Lehrerssohn Reger hingegen, den der Vater zum Lehrer bestimmt hatte, musste sich gegen die elterlichen Widerstände zu einer Musikerkarriere durchsetzen. Beide erhielten zwar schon früh musikalische Unterweisung, doch überwiegen die Unterschiede die Ähnlichkeiten bei weitem.

Die Orgel war keineswegs Regers bevorzugtes Instrument – zu seinen frühen zur Veröffentlichung eingereichten Werken gehören vor allem Lieder, Klavier- und Kammermusik –, doch die Auseinandersetzung Straubes mit Regers erstem großen Orgelwerk, der Suite e-Moll op. 16, legte den Grundstein zu einem intensiven künstlerischen Austausch, der sich ab der ersten persönlichen Begegnung in Frankfurt 1896 zu einer lebenslangen Freundschaft entwickelte. Künstlerisch aus der Vergangenheit schöpfend wurde Reger musikalisch als „Zukunftsmensch“ gefeiert, weil er viele musikalische Entwicklungen seiner Zeit nahezu seismografisch aufnahm und weiterführte: Die ungezwungene Modulatorik, die dennoch tonal unterfüttert blieb, die, das Taktsystem nur mehr als Folie nutzend, sich frei entwickelnde, auch asymmetrisch ausufernde Nutzung der Metrik bezeichnete die Mitkuratorin Susanne Popp aus der Perspektive Schönbergs 1973 als „musikalische Prosa“.

Der Briefwechsel zwischen Reger und Straube ist heute leider nur noch in Teilen erhalten. Die Briefe Regers an Straube existieren nur in Abschriften, und auch längst nicht vollständig – gerade die frühen Jahre bis 1900 fehlen völlig. Das mag auch daran liegen, dass Straube nicht nur seine Zusammenarbeit mit Reger in den durch ihn veröffentlichten Beiträgen nicht selten eher mystifizierte denn klarstellte – auch seine eigene Biografie ist – das stellt sich bei der Lektüre der erst in diesem Jahr erschienenen Straube-Biografie von Christopher Anderson heraus – gerade bezüglich der frühen Jahre eher lückenhaft überliefert.

Der Ausschnitt einer Schwarzweiß-Fotografie von 1905 zeigt Max Reger und Karl Straube.

Karl Straube und Max Reger, Essen 1905, retuschierter Ausschnitt aus einem zeitgenössischen Gruppenfoto
Veröffentlicht in einer nicht identifizierten zeitgenössischen Zeitschrif

So können wir den frühen freundschaftlichen Austausch und die gegenseitige Inspiration zu Höchstleistungen vor allem aus den Notenmanuskripten ablesen, die Wertschätzung ebenso wie kritische Gegenspiegelung vermitteln. Gerade in frühen Jahren war Straube Regers bevorzugter Interpret, doch relativierte sich dies, je bekannter Reger wurde. Immer wieder sehen wir Straube an entscheidenden Stellen und mit bedeutenden Werken – nach einer problematischen Aufführung der Symphonischen Phantasie und Fuge op. 57 im Rahmen der Tonkünstlerversammlung des Allgemeinen Deutschen Musikvereins 1903 in Basel (übrigens mit einer eröffnenden Opernaufführung in Karlsruhe) dankte Reger „seinem“ Interpreten für seinen Einsatz mit der Komposition der Variationen fis-Moll op. 73. Und als zehn Jahre später die Jahrhunderthalle in Breslau mit der damals größten Orgel der Welt eingeweiht wurde, wurde nicht nur Reger mit einer Festkomposition beauftragt (Introduction, Passacaglia und Fuge e-Moll op. 127) – als Organist der Einweihungskonzerte stand Karl Straube nicht minder fest.

Die Schwarzweiß-Fotografie von 1902 zeigt Karl Straube mit einer Widmung an Max Reger.

Karl Straube, Fotografie mit Widmung an Reger („Dem Meister!“) vom 30. Juni 1902
Veröffentlicht in der Zeitschrift Die Musik 15/5 (Februar 1923)

Reger war in vielen Gattungen aktiv, auch in solchen, die Straube eher fern lagen, Kammermusik, Klaviermusik und Lieder, vor allem aber Orchester- und chorsymphonische Musik. Und während Straubes musikalischer Fokus 1903 durch seine Berufung zum Thomasorganisten in Leipzig klar vorgezeichnet war, blieb Reger in seinem kompositorischen Schaffen ungemein flexibel. Gerade der „Medienwechsel“, der Kontrast zwischen Klein- und Großformen und von unterschiedlichen Besetzungen, reizte ihn, und immer wieder konsultierte er Straube und stellte ihm seine neuesten Kompositionen vor. Den Austausch mit vertrauten Freunden, mit denen er im abendlichen Austausch bei einer guten Zigarre seine neuesten Schöpfungen diskutieren konnte, die teilweise noch im Entwurfsstadium, teilweise unmittelbar vor der Einreichung zum Druck standen, brauchte Reger als Bestätigung seines Weges.

Auf eines dieser Manuskripte soll besonders hingewiesen werden – jenes zu dem chorsymphonischen Werk Die Nonnen op. 112, das am 8. Oktober 2023 hier in der Schwarzwaldhalle Karlsruhe in einer ganz seltenen Aufführung zu Gehör gebracht wird – die Mitwirkenden sind die vier großen Kantoreien Karlsruhes, der Bachchor Karlsruhe, der Chor St. Stephan, die Lutherkantorei, der Oratorienchor Karlsruhe und der Jugendchor Cantus Juvenum Karlsruhe; die Badische Staatskapelle spielt unter der Leitung von Herrn GMD Georg Fritzsch.

Zwischen Inspiration und Einflussnahme

Nicht immer war Straube mit Reger einer Meinung. Gerade bei Regers chorsymphonischen Werken divergierten die ästhetischen Positionen der beiden zu sehr, als dass ein Konsens möglich gewesen wäre, und so riet Straube von der Veröffentlichung von Regers Gesang der Verklärten, einem bis heute nur höchst selten aufgeführten musikalisch hochkomplexen chorsymphonischen Werk ab. Im Falle des lateinischen Requiems, dessen Komposition Reger kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs begann, ging Straubes Einfluss gar so weit, dass Reger die Komposition abbrach. Die Entscheidung stürzte ihn in eine Schaffenskrise, aus der er sich erst nach mehreren Monaten und dem Umzug von Meiningen nach Jena befreien konnte.

Die Schwarzweiß-Fotografie von 1908 zeigt Max Reger beim Komponieren.

Max Reger beim Komponieren, 1908. Zeitgenössischer Schnappschuss
Max-Reger-Institut, Ft. 1908/14

In ihrer Verehrung für Johann Sebastian Bach waren sich Straube und Reger im Prinzip einig, doch Straube war im Leipziger Bachverein sozusagen institutionell gebunden, während Reger, der Bachs Werke immer wieder gerne auch als Interpret zu Gehör brachte, sich die Musik des „Altvaters“ gänzlich zu eigen machte und schon früh in Gestalt von Transkriptionen für andere Besetzungen dem Wohlbekannten neue Facetten entlockte. Als ganz besonderen Fall soll in der Ausstellung auf Bachs zweistimmige Inventionen in Regers Sicht hingewiesen werden – einmal in Gestalt der Schule des Triospiels, in der Reger Bachs Original eine dritte Stimme hinzufügte, mit der das Pedalspiel reflektiert geübt werden sollte (ein Projekt, in dem Straube durch die Auszeichnung der Pedalstimme mitwirken sollte, dies aber nur zögerlich tat), und andererseits in Regers praktischer Neuausgabe der Inventionen im Rahmen einer mehrbändigen, durch Regers Tod unvollendeten Ausgabe von Klavierwerken Bachs im Verlag B. Schott’s Söhne.

Die Abbildung zeigt die erste Seite der Stichvorlage für die Schule des Triospiels von Johann Sebastian Bach, bearbeitet von Max Reger und Karl Straube.

Johann Sebastian Bach, bearb. von Max Reger und Karl Straube, Schule des Triospiels (Reger-Werk-Verzeichnis Bach-B8), Stichvorlage
Max-Reger-Institut, Mus. Ms. 098, erworben 1958 aus dem Nachlass Karl Straubes (Straubes Pedalanweisungen folgten erst im Korrekturprozess)

Auch in einen Ausnahmefall der Reger-Forschung ist Straube gewissermaßen involviert. Da er intensiv als Regers Berater fungierte, wurde lange angenommen, die umfassenden Änderungen in Regers letztem großen Orgelwerk, Phantasie und Fuge d-Moll op. 135b, gingen auf Straubes Anregungen oder gar sein Eingreifen zurück. Seitdem wir die Korrekturfahnen dieser Komposition besitzen, wissen wir es besser – doch sind die beiden durchaus konträren ästhetischen Grundkonzepte, die der ursprünglichen Urschrift und der von Reger vierzehn Tage vor seinem Tod zum Druck finalen Gestalt zugrunde liegen, bis heute bei den Organisten besonders beliebt.

Das betraf kaum die große Schülerschar Straubes. Über viele Jahrzehnte unterrichtete Straube viele Generationen an Organisten, die durch eigene Schüler und durch Tonträgerveröffentlichungen Straubes Vorstellungen (die sich von Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 1940er-Jahre auch veränderten) weitertrugen. Heute wissen wir, das Straube ein wichtiger, aber nicht der einzige wichtige Reger-Organist war – aber er war der einflussreichste und mit Reger am stärksten vernetzte.

Die Schwarzweiß-Fotografie von 1904 zeigt Karl Straube an der Orgel der Thomaskirche Leipzig.

Karl Straube an der Orgel der Thomaskirche Leipzig, 1904, zeitgenössische Fotografie
Schenkung Karl Straubes an Elsa Reger (1947) anlässlich seiner Ernennung zum Ehrenmitglied des Max-Reger-Instituts/Elsa-Reger-Stiftung

Zur Ausstellung

Reger und Straube wären in diesem Jahr gemeinsam 300 Jahre alt geworden. Zum Jubiläum ist das Max-Reger-Institut mit seiner vierten Ausstellung „Max Reger und sein Interpret Karl Straube. Eine Künstlerfreundschaft zwischen Inspiration und Einflussnahme“ zu Gast in der Badischen Landesbibliothek (frühere Ausstellungen fanden 1998, 2005/06 und 2015 statt). Die aktuelle Ausstellung thematisiert diese über das Orgelwerk hinausreichende, das gesamte Schaffen Regers betreffende Beziehung und zeigt eine Fülle kalligraphisch schöner, deutlich lesbarer Autographen, deren Mehrfarbigkeit den Impetus des Schreibens und Komponierens widerspiegelt. Launige Einträge zeugen von schwungvoller Zusammenarbeit, die jedoch auch ernste Konsequenzen – von Kürzungen in weit fortgeschrittenen Werken bis hin zum Abbruch einer Komposition – haben konnten.

Einen besonderen Zugewinn für die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung bieten die Klangbeispiele, die via QR-Code mit den Exponaten verbunden sind und in die Klanggalerie des Max-Reger-Instituts führen. Auf diese Weise können die ausgestellten Manuskripte und Noten in direkt angehört werden, der Notentext wird so akustisch wahrnehmbar.

Die Abbildung zeigt die erste Seite der Notenhandschrift für die Phantasie über den Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ op. 52 Nr. 2 von Max Reger.

Max Reger, Phantasie über den Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ op. 52 Nr. 2 (1900), Notenhandschrift für Karl Straube, S. 1
Max-Reger-Institut, Mus. Ms. 011 – erworben 1958 aus dem Nachlass Karl Straubes

Die Ausstellung wird vom 27. September 2023 bis zum 13. Januar 2024 in der Badischen Landesbibliothek gezeigt. Das Begleitprogramm zur Ausstellung ist hier zu finden. Zahlreiche weitere Veranstaltungen im Rahmen des Max-Reger-Jahres finden Sie im Kalender des Max-Reger-Portals unter https://www.maxreger.info/ oder im Kalender auf der Webseite der Badischen Landesbibliothek unter www.blb-karlsruhe.de/kalender. Wir freuen uns auf Ihr Kommen!

Max Reger
Karl Straube
Freundschaft
Ausstellung
Max-Reger-Institut
Badische Landesbibliothek

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