Inspiration durch Sammelbilder (Text II): Steuern, Schlagzahl, Schlussspurt – Das Finale

Ausstellungsplakat zu „Wissen in Bildern – die bunte Welt der Sammelalben“. Abgebildet im Monogon ist ein Detail einer Sammelbilder-Graphik. Zwei Frauen und ein Mann nehmen im Grünen ein Picknick zu sich.

Die Mitglieder der Schreibgruppe KITeratur haben sich für ihre hier veröffentlichten Texte von den in Ausstellung Wissen in Bildern – Die bunte Welt der Sammelalben ausgestellten Sammelalben inspirieren lassen.

Pia Gawlik-Rau, 30.6.2025

DOI: https://doi.org/10.58019/3QVN-FT23

Bereits im Februar – noch vor der Eröffnung der Ausstellung Wissen in Bildern – Die bunte Welt der Sammelalben – hatten die Teilnehmenden des Schreibworkshops „Bild zu Text“ der Kreativschreibgruppe KITeratur die Gelegenheit, in einer Auswahl historischer Sammelalben aus der Ausstellung zu stöbern. Unter der Leitung von Werbetexter und Autor Julius Link entstanden dabei fünf literarische Texte, die sich auf ganz eigene Weise von den vielfältigen Bildwelten inspirieren ließen. Diese Texte veröffentlichen wir nun nach und nach im BLBlog.

Im Juni präsentieren wir den Beitrag von Pia Gawlik-Rau. Ihre literarische Auseinandersetzung geht zurück auf ein Foto mit dem Titel Zweier mit Steuermann, zu finden im Sammelalbum Olympischer Sport von Erich Oberrascher.

Start

„Êtes-vous prêts? Partez!“

Der Startschuss kam leicht zeitverzögert. Bruno hatte gar keine Zeit, darüber nachzudenken, denn sofort wurde er im Bug des Bootes vor- und zurückgeschoben. Bei jedem Einstechen der Riemen ins Wasser rutschte er nach vorne und beim Zurückrollen wieder nach hinten. Sofort setzte er mit seinen eigenen Kommandos ein, nachdem er das Motorboot hatte starten hören.

Die ganze Aufregung, das angestaute Adrenalin wich jetzt höchster Konzentration. Die Startkommandos, die das Boot in kurzen Schlägen aus der Startposition schieben sollten, der präzise Zeitpunkt, an dem die Riemen zeitgleich ins Wasser stachen, brachten sie um wertvolle Zentimeter in Führung.

Einband des Buches „Olympischer Sport“. Auf dem Cover sind diverse olympische Disziplinen abgebildet.

Cover des Sammelalbums Olympischer Sport von Erich Oberrascher, Quelle: BLB.

Steuern

Brunos Blick ging starr nach vorne. Die Wasseroberfläche lag glatt wie ein Spiegel vor ihm. Das machte seine Aufgabe leicht. Gestern noch hatten ein heftiger Sturm und Regen über den See gepeitscht. Im Vorlauf musste er gegen Wind und Wellen ankämpfen, um eine möglichst gerade Linie direkt neben den Bojen zu halten. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie sich zwei Bahnen weiter links die Bugspitze immer näher auf sie zuschob.

Er musste jetzt einen Spurt einleiten, damit sie die 1000-Meter-Marke mit einem guten Vorsprung passieren konnten. Trotz seines Mikrofons rief er mit fast schreiender Stimme: „Und jetzt ein Zwischenspurt. Schub-und-weg. Schub-und-weg.“ Dabei passte er den Moment ab, wenn die Riemen senkrecht ins Wasser tauchten, und spornte den Steuermann mit seinem Kommentar an, die Schlagzahl zu erhöhen. Seine Kommandos folgten immer schneller aufeinander. Bruno sah zufrieden, dass das gegnerische Boot nicht mehr aufschloss. Er reduzierte die Schlagzahl wieder, um seiner Crew die Kraft zu lassen, ab der 1750-Meter-Marke noch einen Endspurt zu fahren.

Das Boot lief schnurgerade im rechten Drittel der Bahn. Jeder Haken, den es schlug, kostete wertvolle Sekundenbruchteile. Zu Beginn seiner „Karriere als Steuermann dachte er, er müsse immer in der Mitte der Bahn fahren und den Abstand exakt in der Mitte zu den Bojen einhalten. So hatte er oft hin und her korrigiert, dass er einen regelrechten Zickzackkurs zurückgelegt hatte.

Crew

Es hatte eine Weile gedauert, bis sein Schlagmann und er eine gemeinsame Sprache gefunden hatten. Bis er sich den Respekt des Schlagmanns regelrecht verdient hatte, indem er wusste, wann was einzuleiten war und mit welcher Taktik man Rennen gewann. Die mentale Vorbereitung war das eine, aber die sekundenschnelle Analyse im Rennen das andere.

Bruno hörte und spürte, wenn seine Crew mit dem Rollsitz nach vorne fuhr, wie kontrolliert sie ihre Kraft einteilte. Vom Anschlag des Rollsitzes bis zum Eintauchen der Riemen ins Wasser waren ein Indikator für den effiziente Krafteinsatz. Bruno hatte in vielen Rennen die leidvolle Erfahrung machen müssen, dass die Erhöhung der Schlagzahl sie eben nicht schneller ins Ziel brachte, weil die Kraftübertragung unterwegs verloren ging. Er kannte seine Jungs und wusste, wann er sie antreiben musste.

Sie passierten die 1500-Meter-Marke und mehrere Bugspitzen schoben sich in sein Blickfeld. Wie die Höcker eines Dromedars schoben sie sich nach vorne, solange die Riemen durchs Wasser zogen. Wenn die Ruderer wieder ins Heck rollten und die Arme dabei weit nach außen streckten, fielen die Bugspitzen wieder zurück. Wie schnell die Spitzen sich nach vorne ruckelten, zeigte die Schlagzahl an.

Am Ufer radelten einige Trainer parallel zu ihren Booten und riefen Anweisungen quer über das Wasser – als ob das jemand hören würde. Glücklicherweise war der Einsatz von Megafonen inzwischen verboten. In der Kakofonie der Rufe hatte man sein eigenes Wort nicht mehr verstanden.

Taktik

Auch wenn die Mannschaft rechts außen aussah wie Kleiderschränke, so hoch und breit wie sie waren, würden sie diese hohe Schlagzahl nicht bis ins Ziel durchhalten können. Auf der anderen Seite schob sich ruhig und gleichmäßig ein Boot nach vorne. Das musste er beobachten. Seine Entscheidung würde das Rennen entscheiden. Wenn er den Endspurt zu früh anfing, würden seine Jungs das durchhalten? Wenn er zu spät damit startete, könnte das andere Boot unerreichbar sein.

„Kraft-und-ruhig“. Das war das Stichwort für seinen Schlagmann, es erst einmal mit ruhigerer Schlagzahl, dafür mit langen, kraftvollen Zügen zu versuchen. Gleich erreichten sie die 1750-Meter-Marke. Die Zuschauer hatten sich in Gruppen am Ufer positionieret und schrien sich für ihre Mannschaft die Seele aus dem Leib.

„Kraft-und-ruhig“. Sie blieben gleichauf mit dem anderen Boot. Jetzt war es eine Frage von Sekundenbruchteilen, wer wann zum Angriff ansetzte. Wie vermutet fiel das Boot rechts außen zurück. Auch die beiden anderen Boote, die versucht hatten anzugreifen, konnten nicht mithalten.

Endspurt

Jetzt veränderte das andere Boot seine Schlagzahl. Bruno reagierte sofort.

„Endspurt. Die kriegen uns nicht! Schub—und—weg. Schub—und—weg.“ Mit ruhiger Stimme erhöhte er das Tempo. Jetzt kam es darauf an, die letzten Kräfte zu mobilisieren. Die Zuschauer tobten. Die Boote auf den äußeren Bahnen konnte Bruno nicht mehr erkennen.

„Schub-und-weg! Schub-und-weg!“. Die Plastikbälle der Bugspitzen konnte Bruno nicht mehr unterscheiden. Jetzt hatte sich die Perspektive verändert. Der Kopf seines besten Freundes war auf seiner Höhe. Jetzt wurde es für Bruno persönlich.

„Noch drei Schübe! Kraft!“

Die Zielhupe tönte lang und nur ein einziges Mal, als sie die Ziellinie erreichten. Dann lange nichts, bevor sie die Zieleinfahrt der anderen Boote ankündigte. Das Zielfoto musste entscheiden.

Da! Die Lautsprecherdurchsage. Das Publikum schrie und kreischte und Bruno konnte fast nichts verstehen.

„So etwas haben wir noch nie gesehen!“, tönte die Stimme aus der Lautsprecheranlage. „Die Bugspitzen weichen auf der Ziellinie keinen messbaren Millimeter voneinander ab. Wir gratulieren beiden Booten zum ersten Platz. Und ganz besonders den beiden Steuerleuten, den Zwillingen Max und Moritz Schneller.“

Weitere Informationen

Weitere Informationen zu den Sammelalben im Bereich „Sport – Olympiaden und Meisterschaften“ finden Sie auf der Ausstellungsseite.

KITeratur ist eine offene Schreibgruppe, die sich dem kreativen Ausdruck in all seinen Formen widmet. Willkommen sind alle, die Freude am Schreiben haben – unabhängig von Vorkenntnissen oder Erfahrung. Der Kooperationspartner lädt an jedem vierten Samstag im Monat zum gemeinsamen Arbeiten an Texten ein.

Nicht unterstützter Web-Browser!

Ihr verwendeter Web-Browser ist veraltet und kann daher einige der modernen Funktionen der Webseite www.blb-karlsruhe.de nicht unterstützen.
Um diese Webseite nutzen zu können und sich sicher im Internet zu bewegen, verwenden Sie bitte einen der folgenden Web-Browser:

Mozilla inc., Firefox
Google inc., Chrome
Google inc., Chromium