Das Stammbuch des badischen Hofmalers Friedrich Helmsdorf aus dem Besitz von Marie Curjel

Julia von Hiller 26.11.2024

DOI: https://doi.org/10.58019/5ryd-7j36

In der sechsteiligen Vortragsreihe „Lebensspuren der NS-Zeit“ der Badischen Landesbibliothek stellen wir im Winterhalbjahr 2024/25 Persönlichkeiten vor, die in den Jahren 1933 bis 1945 von den Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes persönlich betroffen waren oder aber auf der anderen Seite Akteure dieses Regimes gewesen sind und die alle auf die ein oder andere Weise mit uns, der Badischen Landesbibliothek, in Beziehung stehen.

Zum Personal der Badischen Landesbibliothek gehörten Dr. Ferdinand Rieser, als Direktor im April 1933 aus dem Amt gejagt und später in Südfrankreich in der Lagerhaft gestorben, aber auch Kurt Knittel, SS-Oberscharführer in Auschwitz, der nach dem Zweiten Weltkrieg wieder im Schuldienst Anstellung fand, aber während des Auschwitz-Prozesses aufflog und 1962 gegen den Widerstand von Direktor Dr. Franz Anselm Schmitt an die Badische Landesbibliothek versetzt wurde, wo er vermeintlich keinen Schaden anrichten konnte. Im BLB-Bestand gibt es Bücherschätze, die ihren Vorbesitzern Marie Curjel und Dr. Wilhelm Rosenberg, deren Schicksalen wir nachgehen, im Rahmen der Ausplünderung jüdischer Bürger zwangsenteignet wurden. Wir besitzen aber mit dem von Franz Moraller als Chefredakteur verantworteten Führer auch das zentrale Presseorgan der NS-Zeit in Baden und mit den nachgelassenen Briefen der Karlsruher Rabbinertochter und schon 1933 emigrierten Ärztin Dr. Rahel Straus hochinteressante Zeitzeugnisse aus Palästina.

Marie Curjel. Pastell von Ferdinand Keller (vor 1912).
Deutsches Literaturarchiv Marbach, Nachlass Hans Curjel, Bildsammlung, B 89.B 2.
© Deutsches Literaturarchiv Marbach. Foto: Anja Bleeser

Den Anfang machen wir mit Marie Curjel (1872-1940), Witwe des Karlsruher Architekten Robert Curjel (1859-1925), der mit seinem Kollegen Karl Moser zusammen zwischen 1888 und 1915 so ziemlich alle bedeutenden Neubauten in Karlsruhe entwarf; das Büro Curjel & Moser war über die Stadtgrenzen hinaus auch weiträumig im süddeutschen Raum und in der Schweiz tätig.

Marie Curjel veräußerte Ende 1938 das Stammbuch des badischen Hofmalers Friedrich Helmsdorf zwecks Finanzierung der sogenannten „Judenvermögensabgabe“ an die Badische Landesbibliothek. Als sie Anfang 1940 noch in die Schweiz auswandern wollte, wohin ihr Sohn Hans Curjel bereits 1933 emigriert war, gab es ein Strafverfahren gegen sie wegen unterlassener Anmeldung von Schmuckbesitz im Ausland. Aufgrund strafrechtlicher Verurteilung bestand für sie keine Chance mehr, das Deutsche Reich zu verlassen und der Shoah zu entkommen. So wählte sie am 27. April 1940 den Weg in den Freitod. Die Akten der verschiedenen Wiedergutmachungs-, Rückerstattungs- und Berufungsverfahren, die die Familie Curjel später führte, dokumentieren viele Einzelheiten der Verfolgung.

Seite aus dem BLB-Handschrifteninventar mit handschriftlichem Text, in dem das Helmsdorf-Stammbuch als Kauf von Marie Curjel aufgeführt ist.

Eintrag des Helmsdorf-Stammbuchs K 2479 im Handschriften-Inventar der Badischen Landesbibliothek 1938

Auf diesen Raubgut-Fall gekommen sind wir bei Durchsicht des Handschrifteninventars, das für den Zeitraum von Februar 1933 bis September 1942 insgesamt 237 Signaturen neu verzeichnet hat. Anders als der in der Bombennacht vom 2. auf den 3. September 1942 nahezu vollständig verbrannte Druckschriftenbestand waren die Handschriften bereits zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ausgelagert worden; nur hier also konnten wir überhaupt noch mit Raubgut aus erster Hand rechnen. Sofort als Problemfall augenfällig war der Eintrag zur Handschrift K 2479, dem Stammbuch von Johann Friedrich Helmsdorf (1783-1852), einem aus Magdeburg stammenden Landschaftsmaler, der 1809 nach Straßburg zog, die Jahre 1817 bis 1820 in Rom verbrachte, dann nach Straßburg zurückkehrte und schließlich 1832 durch Großherzog Leopold von Baden als Hofmaler mit fester Besoldung nach Karlsruhe berufen wurde.

Gezeigt ist der Maler Friedrich Helmsdorf in mittelerem Lebensalter. Bildnis von vorn links. Kopf zur linken Seite gewendet. Der Abgebildete trägt einen Mantel mit Kragen.

Johann Grund: Friedrich Helmsdorf. [Karlsruhe], [1]836. Lithographie. 
Stadtarchiv Karlsruhe, 8/PBS oIII 280. 
© Stadtarchiv Karlsruhe.

Das Stammbuch stammt aus seiner Jugendzeit – die Eintragungen beginnen im März 1797 und enden im Juni 1816. Sie stammen zu zwei Dritteln aus Magdeburg und Umgebung sowie zu einem Drittel aus Straßburg und Umgebung bis zu Helmsdorfs Abreise nach Rom. Auf 104 Blättern befinden sich 77 Eintragungen, dazu 39 Zeichnungen, Miniaturen etc. – von der Hand der Beiträger, aber vielfach auch vom Stammbucheigner selbst. Die bedeutendsten Beiträge stammen von den Malern Franz Catel und Carl Ludwig Frommel, dem Schauspielerpaar Johann Friedrich Gley und Christine Gley und dem Komponisten Friedrich Ernst Fesca. Auf Karlsruhe im Dezember 1815 datiert ist das in Bleistift auf Seidenpapier ausgeführte Porträt eines Mannes im Halbprofil. Es könnte ein Bildnis von Johann Peter Hebel sein, den Helmsdorf nachweislich an diesem Tag in Karlsruhe getroffen hat. Hebel schrieb an diesem Sonntag, dem 10. Dezember 1815, an den Straßburger Fabrikanten Gottfried Haufe, er habe gerade jetzt durch „den artigen und sinnigen iungen Maler von Magdeburg“ Neuigkeiten aus Straßburg erfahren. Die Hebel-Spezialisten wollen den Sensationsfund allerdings nicht verbindlich bestätigen.

Zu sehen ist ein gedrungener Mann im mittleren Lebensalter. Ansicht von vorn rechts. Kopf nach links gewendet. Das Bildnis ist in Bleistift auf sehr dünnem, gelblichem Papier ausgeführt und mit Ort und Datum "Karlsruhe. Dezember 1815" gezeiechnet.

K 2478 Bl. 102r: Brustbild eines unbekannten Mannes, möglicherweise Johann Peter Hebel. Karlsruhe, Dezember 1815.

Die allerletzte Eintragung geht auf einen launigen Abend zurück, an dem die Beteiligten den Maler Helmsdorf in Straßburg in den Süden verabschiedeten. Von dieser letzten Eintragung 1816 bis zum Verkauf des Stammbuchs an die Badische Landesbibliothek durch Marie Curjel ist keine Besitzfolge nachweisbar. Wo das Stammbuch zwischen 1816 und 1938 gewesen ist: wir wissen es nicht. Die gründliche Recherche nach den Lebensumständen des Hofmalers Friedrich Helmsdorf und der Architektengattin Marie Curjel hat es nicht aufklären können. Erschlossen wurden jedoch zwei eng miteinander verbundene Biographien, die unterschiedlicher nicht sein können.

Zu sehen ist ein Piedestal mit einer abgebrochenen Säule, darauf die Aufschrift "Denkmahl der Freundschaft". Weiter Säulentrommeln liegen daneben. Das Bild ist eine farbige Federzeichnung.

K 2479 Bl. 4v: 1804 signierte Federzeichnung von Friedrich Helmsdorf: Denkmahl der Freundschaft.

Wir haben das Künstlerstammbuch im November 2020 an die Familie Curjel restituiert. Die Erben haben es uns dankenswerterweise als Leihgabe anvertraut. Das war uns Anlass und Verpflichtung für eine gründliche Aufarbeitung der Lebensläufe von Friedrich Helmsdorf und Marie Curjel und für eine genaue Untersuchung des Stammbuchs als historisches Objekt. Es war uns wichtig, auch stellvertretend für alles andere NS-Raubgut, das bis zum September 1942 in unsere Bibliothek gekommen, aber mit ihr verbrannt ist und sich deshalb nicht mehr ermitteln, erforschen oder restituieren lässt.

Aus den über mehr als vier Jahre hinweg angestellten Nachforschungen erwuchs eine Buchpublikation, die wir am 26. November 2024 der Öffentlichkeit vorgestellt haben. Wir hoffen, dem Anspruch, mit unserer Veröffentlichung einen Beitrag zur Aufarbeitung historischen Unrechts zu leisten, gerecht geworden zu sein.

Julia Freifrau Hiller von Gaertringen: Das Stammbuch des badischen Hofmalers Friedrich Helmsdorf : NS-Raubgut in der Badischen Landesbibliothek. - Bretten : Lindemanns, 2024. - 242 S., zahlr. Ill. - ISBN: 978-3-96308-240-5. - EUR 19,80, DOI: https://doi.org/10.57962/regionalia-24952

Erhältlich im Shop der BLB (Bestellnr. S12).

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