Beseitigung der NS-Vergangenheit im öffentlichen Raum

Das Kriegsende 1945 hatte viele Gesichter – hier zu sehen die Anklagebank des Nürnberger Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, November 1945, Quelle: United States Holocaust Memorial Museum, © Public Domain.
Ernst Otto Bräunche, 23.5.2025
DOI: https://doi.org/10.58019/T9YV-Q077
Als französische Truppen am 4. April Karlsruhe befreiten, kamen sie in eine Stadt, in der es zahlreiche Erinnerungen an die nun beendete Zeit des Nationalsozialismus im öffentlichen Raum gab. Mit der ältesten und wohl auch nachhaltigsten Form der Erinnerung im öffentlichen Raum, der Benennung von Plätzen und Straßen, hatten sich die neuen NS-Machthaber nach der letzten nur noch bedingt demokratischen Reichstagswahl der Weimarer Republik am 5. März 1933 sogleich befasst.
Nationalsozialistische Straßenbenennungen
Umbenannt wurden in der ersten Sitzung des nach dem Ergebnis der Reichstagswahl vom 5. März umgebildeten Karlsruher Stadtrats zunächst der Marktplatz, der nun „Adolf-Hitler-Platz“ hieß. Die Durlacher Allee wurde zur „Robert-Wagner-Allee“, der Waldring zum „Horst-Wessel-Ring“, der Gottesauer Platz zum „Hermann-Göring-Platz“ und die Erzbergerstraße zur „Dietrich-Eckart-Straße“. Neu benannt wurde der „Paul-Billet-Platz“ vor der kleinen Kirche an der Kaiserstraße nach dem 1931 bei einem Straßenpropagandaumzug der NSDAP in Karlsruhe ums Leben gekommenen SA-Mann aus Lahr. Außerdem wurden der 1925 bei Straßenkämpfen ums Leben gekommen Fritz Kröber und der Reichstagsabgeordnete Robert Roth Namensgeber.
Die neuen Machthaber hoben aber nicht nur eigene Parteigrößen hervor, sondern beseitigten zugleich die Namen verdienter demokratischer Parteipolitiker. 1927 hatte der Stadtrat die Benennung von Straßen im Osten der Stadt u. a. nach „bekannten Republikanern und Volksmännern“ nach linken Politikern wie August Bebel, Ludwig Frank, Anton Geiß, Ferdinand Lasalle und Karl Marx, aber auch nach Liberalen wie Rudolf von Bennigsen, Emil Fieser oder Eugen Richter sowie dem badischen Zentrumsführer Theodor Wacker beschlossen. Da diese Straßen 1933 zwar alle im Adressbuch standen, aber noch nicht hergestellt waren, wurden sie von den Nationalsozialisten einfach gestrichen, ohne dass sie dies propagandistisch verbreiteten. Erst 1954 erinnerte sich man an das Vorhaben und beauftragte das inzwischen zuständige Vermessungsamt, bei neuen Straßenbenennungen verstärkt Politiker als Namensgeber zu berücksichtigen.
Offiziell war im November 1933 die 1929 benannte Eugen Geck-Straße in Saarbrücker Straße umbenannt worden, die 1945 ihren neuen Namen behielt. Der Herausgeber der sozialdemokratischen Parteizeitung Volksfreund, der lange die SPD-Bürgerausschussfraktion angeführt hatte, bekam erst 1964 wieder eine Straße im Stadtteil Oberreut. Aus der 1929 nach dem linksliberalen Stadtrat und Gründer der gemeinnützigen Baugenossenschaft Hardtwaldsiedlung Albert Braun benannten Straße wurde die Danziger Straße. Braun erhielt wie Geck erst 1964 wieder eine Straße in Oberreut. Die nach dem SPD-Politiker und langjährigen Vorsitzenden des Mieter- und Bauvereins August Schwall in der Oststadt benannte Straße wurde die Artilleriestraße, die Rückbenennung erfolgte erst 1948. Aus dem Stresemannplatz wurde wieder der Festplatz, aus der Ebertstraße wieder die Reichstraße. Im Jahr 1935 folgte die bereits einmal 1914 angeregte Umbenennung des Engländerplatzes in Skagarrakplatz. Am 10. Dezember 1935 erhielt der Mendelssohnplatz einen neuen Namen und hieß nun Rüppurrer Torplatz. Der Festplatz schließlich wurde 1937 zum „Platz der SA“.
Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden nur noch wenige neue Straßennamen vergeben. Erst nach dem verstorbenen Reichsminister Fritz Todt und dem SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich durften ausnahmsweise auch während des Krieges Straßen und Plätze benannt werden, so dass am 23. Dezember 1942 die Ettlinger Straße Todts Namen, die Westendstraße den Heydrichs erhielten.
Die letzte Straßenbenennung vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde am 25. Januar 1945 vorgenommen, da in Hagsfeld an einem noch nicht benannten Weg Behelfsheime entstanden waren. Die Willy-Dreyer-Straße sollte an einen Ruhrkämpfer erinnern, der 1923 wegen Sabotageakten gegen die französischen Besatzungstruppen deportiert worden und auf der Gefängnisinsel St. Ré gestorben war.
Umbenennungen nach 1945
Für die Umbenennung der von den Nationalsozialisten benannten bzw. umbenannten Straßen war 1945 bald eine Kommission zuständig, die am 10. Dezember das erste Mal unter dem Vorsitz des Ersten Bürgermeisters Fridolin Heurich (CDU) tagte. Es wurden nun auch Straßen umbenannt, die mit dem Ersten Weltkrieg zusammenhingen. Dies waren die nach Personen benannten Boelckestraße, Hindenburgstraße, Immelmannstraße, Lettow-Vorbeck-Straße, Ludendorffstraße, Mackensen-Straße, Richthofenstraße und Weddigen-Straße sowie die nach Kriegsschauplätzen oder nach verlorenen Ostgebieten benannten Aragonner Straße, Egerländer-Platz, Flandernstraße, Langemarck-Platz, Masurenstraße, Skagerrakplatz und Tannenberg-Straße. Hindenburg und Ludendorff, beide als Totengräber der Weimarer Republik aktiv, wurden also noch nicht primär wegen dieser Aktivitäten aus der Liste der Namensgeber entfernt.

Adressbuch der Stadt Karlsruhe 1947, S. I, 30. Quelle: Stadtarchiv Karlsruhe.
Gänzlich durch das Sieb fiel 1945/46 der Kolonialist und Rassist Carl Peters, nach dem 1937 eine Straße im Stadtteil Daxlanden benannt worden war. Nur die 1937 erfolgte Benennung der Lettow-Vorbeck-Straße nach dem Kommandeur der Kololonialtruppen in Deutsch-Ostafrika war damals rückgängig gemacht worden.
1945/46 wurde auch die Benennung nach „Opfern des Dritten Reichs“ in die Wege geleitet, womit die ermordeten Widerstandskämpfer August Dosenbach, Reinhold Frank und Ludwig Marum gemeint waren. Es wurden etliche Vorschläge diskutiert, wobei man sich einig war, dass es keine abgelegenen Straßen sein durften, die an die Widerstandskämpfer erinnern sollten, so dass zum Beispiel auch die komplette oder teilweise Umbenennung der Kriegsstraße diskutiert wurde. Für Frank war zunächst die Kaiserallee, für Dosenbach die Kriegsstraße westlich der Schillerstraße vorgesehen, doch am 18. März einigten sich Mitglieder der Kommission auf die Umbenennung der Westendstraße in Reinhold-Frank-Straße, der Blücherstraße in Ludwig-Marum-Straße und der schon 1945 in Eckener-Straße umbenannten Wilhelm-Gustloff-Straße. Statt der Blücherstraße wurde dann aber die Maxau-Straße in Ludwig-Marum-Straße umbenannt. Die Gründe dafür gehen aus den Akten nicht hervor, vermutlich war aber die Nähe zum Wohnhaus Marums in der Wendtstraße entscheidend.
Anfang 1949 beschloss der Straßenbenennungsausschuss, künftig keine weiteren Umbenennungen mehr vorzunehmen, wie sie von der Deutschen Friedensgesellschaft zum Beispiel für die Kaiserstraße beantragt worden war. Mit auschlaggebend waren damals die mit Umbenennungen verbundenen hohen Kosten und zu erwartende Proteste der Anwohner – bis heute ein Argument in der Diskussion über Umbenennungen. Einzig die Umbenennung der Neuen Poststraße in Finterstraße zu Ehren des 1933 von den Nationalsozialisten abgesetzten linksliberalen Oberbürgermeister Julius Finter wurde noch beschlossen. Dies sollten für längere Zeit die letzte – politische – Straßenumbenennung sein.

Ende der Umbenennungen, in: Karlsruher neue Zeitung vom 23. April 1949. Quelle: BLB.
Unmittelbar nach Kriegsende ordneten die Besatzungsmächte auch die Entfernung nationalsozialistischer Denkmale und Symbole an. In Karlsruhe wurde das am 23. November 1935 eingeweihte Paul-Billet-Denkmal in der Kaiserstraße/Nordwestecke Adlerstraße ebenso entfernt wie das am 22. September 1934 eingeweihte Albert-Leo-Schlageter-Denkmal.

Einweihung des Schlageter-Denkmals am 22. April 1934. Quelle: Stadtarchiv Karlsruhe.
Entfernt worden war auch die an Hermann Göring erinnernde, 1935 auf Initiative der Stadt angebrachte Tafel an der früheren Kadettenanstalt, an der Göring ausgebildet worden war. Auch die Hindenburg gewidmete und noch während des Ersten Weltkriegs an der Kaiserstraße 184 angebrachte Gedenktafel wurde 1946 auf Anordnung des Justizministeriums Württemberg-Baden entfernt, da alles zu vermeiden sei, „was die Aufrichtigkeit und Entschiedenheit der Abkehr von dem nationalsozialistischen Regime in Zweifel ziehen kann“. Als sich im Jahr 1957 die Arbeitsgemeinschaft Karlsruher Soldatenverbände an das für das Gebäude zuständige baden-württembergische Justizministerium wandte, hatte man aber keine Bedenken mehr. Die Soldatenverbände hatten darauf hingewiesen, dass die „alten Soldaten „schon immer lebhaft bedauert“ hätten, „daß sich dieses Erinnerungszeichen an einen verdienten Soldaten und Ehrenbürger der Stadt Karlsruhe nicht mehr an der alten Stelle befinde.“ Auch der Kameradendienst der 35. Infanterie-Division, deren maßgebliche Beteiligung an Verbrechen der Wehrmacht heute bekannt ist, war an das Justizministerium herangetreten. Die Tafel wurde nach der Zustimmung der Stadt 1958 wohl ohne eine offizielle Veranstaltung und ohne Presseresonanz wieder angebracht und hängt heute noch an dem inzwischen nach dem Denkmalschutzgesetz als Kulturdenkmal eingestuften Haus. Die Ehrenbürgerschaft wurde Hindenburg allerdings 2018 in einem symbolischen Akt durch den Gemeinderat der Stadt aberkannt.

Einweihung der Gedenktafel in Anwesenheit von Hermann Göring, am Rednerpult, links Oberbürgermeister Adolf Friedrich Jäger, rechts in der ersten Reihe stehend Gauleiter Robert Wagner. Quelle: Foto Stadtarchiv Karlsruhe.
Erinnerungsorte für die Opfer des Nationalsozialismus
Heute gibt es in Karlsruhe zahlreiche Erinnerungen im öffentlichen Raum an die deutschen Verbrechen während der nationalsozialistischen Herrschaft – zusammengestellt auf einer in Zusammenarbeit mit dem Liegenschaftsamt erstellten interaktiven Karte auf der Webseite des Stadtarchivs Karlsruhe.
Literaturhinweise
- Ernst Otto Bräunche: Karl-Marx-Straße in Karlsruhe? Straßenbenennungen in Demokratie und Diktatur 1918–1945, in: Blick in die Geschichte: Karlsruher stadthistorische Beiträge, Nr. 132
- Ernst Otto Bräunche: Denkmäler – Tafeln – Stelen – Straßennamen. Vom Archivstatut zum Leitfaden für Erinnerungskultur im öffentlichen Raum in Karlsruhe, in: Nieß, Ulrich; Groh, Christian; Mix, Andreas (Hrsg.): Stadt und Erinnerungskultur, Göttingen 2023, S. 13–40. (= Veröffentlichungen des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung Bd. 45)