Der 9. November III: Hitlerputsch 1923

Auf der Fotocollage sind verschiedene historische Ereignisse am 9. November zu sehen, die mit der deutschen Geschichte verbunden sind.

Abb. 1: Der 9. November gilt als „Schicksalstag“ der Deutschen, Collage: BLB, Quelle: Wikimedia CommonsEinzelnachweise.

Michael Fischer, 12.12.2025

DOI: https://doi.org/10.58019/9WCD-D143

Der Putschversuch vom 9. November 1923 war eine Replik auf die Novemberrevolution fünf Jahre zuvor und galt den Nationalsozialisten als ihr erster Versuch, die Ereignisse und Folgen von 1918 durch eine „Deutsche Revolution“ zu tilgen bzw. zu vollenden. Welchen Stellenwert das Datum des 9. Novembers in der nationalsozialistischen Bewegung besessen hat, soll hier im Folgenden kurz skizziert werden.

1923: Hitler putscht in München

Die Bezeichnung „Hitlerputsch“ für die Ereignisse des 8./9. November 1923 verwischt allerdings die damalige Gemengelage: Hitler war zwar die radikalste und treibende Kraft, setzte sich mit seiner Aktion allerdings ‚nur‘ an die Spitze einer bereits laufenden Putschbewegung im rechten Lager. Diese war getragen vom bayerischen Generalstaatskommissar, dem nationalistisch-monarchistischen Separatisten Gustav von Kahr, dem Landeskommandant der Reichswehr in Bayern, Generalleutnant Otto von Lossow, der offen die Befehle seiner militärischen Vorgesetzten aus Berlin verweigerte, und weiteren zentralen Personen in der bayerischen Verwaltung wie zum Beispiel Hans von Seißer, dem Kommandeur der bayerischen Polizei. Über allen schwebte die wichtigste Identifikationsfigur des deutschnational-völkischen Lagers, General Erich Ludendorff, der im Weltkrieg als mächtiger Mann in der Obersten Heeresleitung diktatorische Vollmachten besessen hatte.

Während einer lange erwarteten programmatischen Rede Gustav von Kahrs am Abend des 8. Novembers 1923 im Münchner Bürgerbräukeller, bei der dieser den versammelten Münchner Honoratioren seine politischen Grundsatzüberlegungen darlegen wollte, stürmte Hitler mit einem Trupp bewaffneter SA-Männer den Veranstaltungssaal. Dort rief Hitler eine „nationale Diktatur“ aus und setze von Kahr, Lossow und von Seißer unter Druck, sich ihm anzuschließen. Erst der herbeigeholte Ludendorff konnte die drei allerdings abschließend davon überzeugen, sich offiziell an der Putschunternehmung zu beteiligen. Hitler deklarierte, dass hiermit die „Revolution“ von 1918 zum Abschluss gebracht werde.

Am nächsten Tag wollten die Putschisten mit einem an Mussolinis Unternehmung vom Oktober 1922 anknüpfenden „Marsch auf Berlin“ die Macht im Reich an sich reißen. Allerdings wurde schon im Morgengrauen des 9. Novembers klar, dass der Putsch gescheitert war, da unter anderem von Kahr seine Unterstützung wieder zurückgezogen hatte. Statt dem angekündigten „Marsch auf Berlin“ formierte sich unter der Führung Hitlers und Ludendorffs lediglich ein Demonstrationszug in die Münchner Innenstadt. Dieser wurde bekanntermaßen an der Feldherrnhalle von der bayerischen Polizei gewaltsam gestoppt, wobei 16 Nationalsozialisten und vier Polizisten getötet wurden. Die Zeitungen sprachen spöttisch vom „Eintagsputsch“.

1924: der Prozess gegen die Putschisten

Hitler und die anderen Putschisten wurden schnell festgenommen – im April 1924 wurde ihnen der Prozess gemacht. Die Sympathien der bayerischen Landesregierung sowie von Öffentlichkeit und Justiz waren so eindeutig auf der Seite der Angeklagten, dass gar nicht erst erwogen wurde, den Prozess vor dem eigentlich zuständigen Reichsgericht in Leipzig zu verhandeln. Ludendorff wurde freigesprochen und Hitler lediglich zu einer Festungshaft von fünf Jahren verurteilt. Die Urteile fielen allerdings auch deswegen so milde aus, weil die bayerischen Behörden ihre eigene Beteiligung an der Putschunternehmung tunlichst vertuschen wollten und Hitler zuvor sogar gedroht hatte, deren Verstrickungen öffentlich zu machen. Der sozialdemokratische Volksfreund bezeichnete den Prozess als eine „deutsche Justizkomödie“, die sich als ein „furchtbares Verbrechen an der deutschen Nation“ darstelle. Während seiner Haftzeit schrieb Hitler am ersten Band seines Buches Mein Kampf.

Schwarz-weißes Gruppenbild der Hauptangeklagten im Hitler-Ludendorff-Prozeß. in der Mitte General Erich Ludendorff in Uniform, rechts daneben Adolf Hitler.

Abb. 2: Die Hauptangeklagten im Hitler-Ludendorff-Prozeß. in der Mitte General Erich Ludendorff, rechts daneben Adolf Hitler. Quelle: Wikipedia.

Der 9. November und die Nationalsozialisten

In den Jahren der relativen Stabilisierung der Weimarer Demokratie, also 1924–1928, blieb der 9. November stets ein umstrittener Jahrestag – lediglich die Sozialdemokraten bezogen sich überhaupt positiv auf die Revolution von 1918, mussten aber stets zwischen ihrer staatstragenden Rolle in der Weimarer Republik und dem Bekenntnis zur sozialistischen Revolution lavieren, so dass die Beiträge zum Jahrestag – zum Beispiel im Volksfreund – in diesem Zeitraum einen nachdenklichen und seltsam defensiven Charakter besaßen.

Die Nationalsozialisten hatten im 9. November stets einen doppelten Verrat gesehen: zum einen wegen der deutschen Zustimmung zum Waffenstillstand von 1918 und zum anderen wegen den sozialistischen – und eben nicht nationalistischen – Zielsetzungen der Revolutionäre von 1918. Dieser zweite „Verrat“ wurde bspw. im Leitartikel der zweiten Ausgabe des badischen NS-Organs Der Führer durch den damals 24-jährigen Schriftleiter Franz Moraller zum Ausdruck gebracht: Darin warf er den sozialdemokratischen Anführern der Novemberrevolution vor, diese nicht gründlich genug durchgeführt zu haben. Weder hätten diese den „Kapitalismus zertrümmert“, die Armut beseitigt noch die Freiheit gebracht. Moraller kündigte an, dass sich jedoch bald eine (nationalsozialistische) Volksbewegung gegen die „Novembermänner “ erheben werde. Auf diesen durchaus antikapitalistische „Schwur“ folgte eine Liste mit vielen an der Novemberrevolution beteiligten Personen jüdischer Abstammung, damit auch jedem Leser klar wurde, wer nach Moraller Schuld am Ausbleiben einer ‚wirklichen‘ Revolution gehabt hatte.

Dieser doppelte Verrat wurde aus Sicht der Nationalsozialisten nun noch um den weiteren Verrat der bürgerlich-rechten „Reaktionäre“ ergänzt, die den Putschversuch am 9. November 1923 nicht entschlossen genug unterstützt hatten. Bereits 1926 hatte Hitler den 9. November zum Reichstrauertag der NSDAP bestimmt.

Zum zehnjährigen Jubiläum knüpfte Der Führer 1928 an seine Argumentation vom Vorjahr an: er griff mit antikapitalistischer Stoßrichtung die Sozialdemokratie an und skandalisierte den hohen Anteil von Juden in der sozialdemokratischen Führung sowie der Redaktion des Volksfreunds. Die Nationalsozialisten begriffen sich dabei als wahre Erben (!) der Revolutionäre von 1918, deren „Dreiachtelsrevolution“ gerade genug „Kraft“ gehabt habe, an den „Postämtern die Kronen zu entfernen.“ Und weiter: „Wir werden eure Revolution weiterführen. Aber wir sind gegen euch. Und wenn ihr glaubt, die Revolution sei zu Ende gewesen an jenem Tage, an dem ihr Minister oder Landrat wurdet, dann sagen wir euch, daß eure Etappen- und Heimatrevolution erst das Signal zum Beginn der großen deutschen Revolution war.“

Der 9. November im NS-Staat

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde der 9. November ganz staatsoffiziell als Tag von „Dolchstoß“ und „Novemberverbrechern“ gedeutet. Zugleich inszenierte die NSDAP den Putschversuch von 1923 im Rahmen eines opulenten Opfer- und Heldenkultes.

Seit dem November 1933 fanden zum Jahrestag von Hitler persönlich initiierte Feierlichkeiten in München statt. Diese begannen 1933 bereits am Vortag mit einem Aufmarsch von SA- und SS-Verbänden sowie vieler Freikorpsverbände und einer Ansprache von SA-Chef Ernst Röhm. Am Abend des 8. Novembers hielt Hitler dann vor rund 3.000 „Alten Kämpfern“ eine Rede im Bürgerbräukeller – das Rednerpult stand an ebenjener Stelle, von der aus er 1923 den Staatstreich verkündet hatte. Darauf folgte am nächsten Tag der Höhepunkt der Feierlichkeiten, nämlich der „Marsch der Blutzeugen“, welcher der Demonstrationsroute von 1923 folgte.

Bei den ersten Feierlichkeiten 1933 weihte Hitler an der Feldherrnhalle ein „Mahnmal“ ein, das aus einer Tafel mit den Namen der 16 beim Putschversuch 1923 getöteten Nationalsozialisten bestand. Auf der Rückseite der Tafel stand geschrieben: „Und ihr habt doch gesiegt.“ Das Denkmal wurde von einer SS-Ehrenwache bewacht, die jeder vorbeikommende Passant mit dem Hitlergruß zu ehren hatte.

In der regionalen NS-Presse interpretierte der Hauptschriftleiter des Führers, Karl Neuscheler, anlässlich der Feierlichkeiten 1933 den 9. November 1918, als einen „Tag der Schmach und Schande, […] ein[en] Tag des Verrats und des Niederbruchs, der Gemeinheit, Feigheit und der Untat im schlimmsten Sinne“. Neuscheler stellte diesem den 9. November 1923 gegenüber, einen Tag, an dem „die Fackel elementar entflammt“ wurde, wenngleich die nationale Revolution vorerst durch „Verrat“ verhindert worden sei. Aber, so sinnierte Neuscheler weiter, dieser „Verrat“ habe sein müssen, das „deutsche Volk“ sei 1923 noch nicht bereit gewesen, „mit dem Vortrupp der Freiheit zu marschieren […].“ So seien „die Opfer vor der Feldherrnhalle leider nicht die einzigen geblieben.“

Am Ablauf der Feierlichkeiten änderte sich in den Folgejahren wenig. 1936 errichtete das NS-Regime für die 16 getöteten Putschisten einen „Ehrentempel“ auf dem Königsplatz, an dem der „Marsch der Blutzeugen“ seitdem vorbeiführte. Der 9. November hatte so einen zentralen Platz im nationalsozialistischen Festkalender bzw. in der Propaganda des NS-Staates.

Der 9. November im Zweiten Weltkrieg

Auch mit Kriegsbeginn blieb der 9. November als „Gedenktag für die Gefallenen der Bewegung“ der wichtigste NS-Feiertag, wenngleich die Feierlichkeiten nun etwas zurückgestuft wurden. So entfiel der Marsch zur Feldherrnhalle und statt Hitler nahm in den ersten Kriegsjahren sein Stellvertreter Rudolf Heß am Zeremoniell teil. Hitlers Rede im Bürgerbräukeller (bzw. ab 1940 nach dem Elser-Attentat im Löwenbräukeller) blieb allerdings bis zum Ende des NS-Staates fester Bestandteil der Feierlichkeiten.

Auch als sich der Krieg bereits dem Ende zuneigte, ließ es sich Hitler nicht nehmen, zum 20. Jahrestag des 9. Novembers 1923 noch einmal zu „seiner Alten Garde“ zu sprechen. In dieser Rede, die gleichzeitig einer seiner letzten öffentlichen Auftritte war, skizzierte er den angeblich teleologisch in der deutschen Entwicklung seit 1918 angelegten Weg zum NS-Staat und deklinierte noch einmal alle Versatzstücke der nationalsozialistischen Propaganda durch – von der Bedrohung durch den Weltkommunismus bis zum Kampf gegen das Weltjudentum. Die Wirkung der Rede elektrisierte allerdings nur noch die engere nationalsozialistische Anhängerschaft, während eine immer größere Anzahl an Deutschen immer deutlicher der Auffassung war, dass der Krieg verloren war.

Abschließend bleibt die zentrale Bedeutung des 9. Novembers für den Nationalsozialismus festzuhalten: die Revolution von 1918 – beziehungsweise ihre Replik im Hitlerputsch von 1923 – war das „Trauma“ der nationalsozialistischen Bewegung und die Tilgung dieser „Schmach“ bis zuletzt ihr Antrieb.

Literatur