Narrenfreiheit!? Eine kleine Geschichte des Regelbruchs
Ausstellung: Narrenfreiheit!? – Eine kleine Geschichte des Regelbruchs (Laufzeit: 5. November 2025 – 21. Februar 2026)
Katrin Hesse, 5.12.2025
DOI: https://doi.org/10.58019/MAJK-4070
Die Badische Landesbibliothek breitet bis zum Ende der Fastnacht im Rahmen einer Ausstellung ihre Bücherschätze aus, um der Frage auf den Grund zu gehen, worin die „Narrenfreiheit“ besteht, wo sie ihre Wurzeln hat und ob sie tatsächlich so grenzenlos ist, wie man glaubt. Beginnend mit mittelalterlichen Handschriften und Inkunabeln über Drucke des 16. Jahrhunderts bis hin zu Karnevalszeitungen des 19. Jahrhunderts taucht der Narr immer wieder in unterschiedlichen Zusammenhängen auf.
Die Anfänge illustriert beispielsweise ein handschriftlicher französischer Psalter vom Anfang des 14. Jahrhunderts. In Psalm 52 heißt es in der Bibel: „Es spricht der Narr: Es gibt keinen Gott“. Indem er sich von Gott abwendet, wird er zum Verbündeten des Teufels, der in der Darstellung an den Narren herantritt. Noch ist sein Erscheinungsbild nicht festgelegt: Er ist mit einem langen Hemd bekleidet und hält in der Hand einen Stab.
Abb. 1: Narr und Teufel, Initial zu Psalm 52, Lateinischer Psalter. Frankreich, Anfang des 14. Jh.s, Badische Landesbibliothek, Cod. Karlsruhe 92.
In einem gedruckten Psalter von 1503 trägt der Narr dann die Kapuze mit Eselsohren und Hahnenkamm, die sein Erscheinungsbild in den folgenden Jahrhunderten prägt, und wendet sich von Gottvater ab. Statt eines Stabs liegt nun die Marotte neben ihm, das Narrenzepter, das in einem Köpfchen, seinem Ebenbild, endet und damit die Selbstbezogenheit des Narren symbolisiert.
Abb. 2: Narr mit Glöckchen und Narrengewand, Initial zu Psalm 52, Psalter. Basel: Michael Furter, 1503, Badische Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 119.
Reise in den Untergang
Im 16. Jahrhundert erlebte die Narrenidee einen starken Aufschwung, nicht nur in der bildenden Kunst, sondern auch in der Literatur. Zu verdanken war das der Moralsatire Das Narrenschiff des Humanisten Sebastian Brant, die im Jahre 1494 in Basel erschienen war: Sie beschreibt in über hundert Kapiteln die unterschiedlichsten Narrheiten, jeweils illustriert mit Holzschnitten, die teilweise dem jungen Albrecht Dürer zugeschrieben werden. Die Erstausgabe in deutscher Sprache war überaus erfolgreich, so dass das Buch bald in andere Sprachen übersetzt wurde. Zwei lateinische Inkunabeln von 1497 in befinden sich in der Badischen Landesbibliothek. Eine besonders schöne Darstellung zeigt den „Endkrist“, den Gegner Christi am Weltenende. Die Narren, die ihm anhängen, sind mit ihrem Schiff dem Untergang geweiht, während die Gläubigen von St. Petrus persönlich in „St. Peters Schifflin“ gerettet werden.
Abb. 3: Endkrist, Sebastian Brant: Stultifera navis. Basel: Johann Bergmann, 1497, Badische Landesbibliothek, 87 A 2736 Ink.
Vor allem waren es Prediger, die auf Das Narrenschiff zurückgriffen, um ihren Gläubigen den rechten Weg aufzuweisen, und auf diese Weise für die Verbreitung der Narrenidee sorgten. Die darauf bezogene Band mit Predigten von Johann Geiler von Kaysersberg erschien unter dem Titel Navicula sive speculum fatuorum 1511 postum und war mit den gleichen Holzschnitten illustriert wie die Erstausgabe des Narrenschiffs – zwei Exemplare befinden sich in der Badischen Landesbibliothek. Und noch im Barock übernahm der Wiener Hofprediger Abraham a Sancta Clara in mehreren Veröffentlichungen das Prinzip, das Narrenthema mit lehrhaften Reimen und entsprechenden Illustrationen zu kombinieren, und ergänzte die Liste der Narrheiten um zeitspezifische Phänomene wie beispielsweise den „Perückennarren“.
Abb. 4: Perückennarr, Abraham a Sancta Clara: Centifolium Stultorum, oder: Hundert ausbündige Narren. Wien: Johann Carl Megerle, 1709, Badische Landesbibliothek, O 60 A 570 RH.
Die gefährdete Freiheit der Hofnarren
Neben der Narrenidee, wie sie in der Bibel bereits mit der Sündhaftigkeit des Narren aufscheint, gab es die historischen Hofnarren. Sie dienten als Unterhalter und zuweilen als Berater seit dem frühen Mittelalter an den Fürstenhöfen. Einer von ihnen hat seinen Weg sogar in die Weltchronik Sebastian Münsters gefunden, in der Ausgabe von 1544 auch mit Illustration: Kuony von Stocken, Hofnarr des Erzherzogs Leopolds I. von Österreich, hatte seinen Herrn vergebens davor gewarnt, in der Schweiz einzumarschieren, ohne auch einen Rückzugsplan zu machen. Das Heer Leopolds I. fiel in die Schweiz ein und unterlag in der Schlacht am Morgarten 1315 – der Hofnarr hatte mit seiner Warnung Recht behalten. Einerseits standen die Hofnarren ihren Herren näher als irgendein anderer Höfling. Andererseits waren sie jedoch äußerst abhängig und mussten ein feines Gespür dafür haben, wann die Grenzen der fürstlichen Geduld erreicht waren. Faktisch waren sie rechtlos, konnten es jedoch, wenn sie es geschickt anstellten, zu Ansehen und einem gewissen Wohlstand bringen.
Abb. 5: Kuony von Stocken, Sebastian Münster: Cosmographia. Basel: Adam Petri, 1544, Badische Landesbibliothek, 53 B 317 R.
Fastnacht – Freiheit auf Zeit
Ähnlich diplomatisches Geschick brauchen seit jeher auch die Fastnachtsnarren im Umgang mit Behörden und Publikum. Schon im Mittelalter gerieten sie oft in Konflikt mit den Ordnungskräften, wie den Archiven zu entnehmen ist. Bis heute ist der Narr eine Hauptfigur der Fastnacht, denn sie galt als Teufelsfest, und der Narr war als Verkörperung des Sünders wie geschaffen als Symbolfigur. Die Fastnacht versinnbildlichte die lebensbejahende, aber auch sündige Gegenwelt zur frommen, entsagungsvollen Fastenzeit, die Ostern voranging.
Das Wissen um diese Zusammenhänge ging im Laufe der frühen Neuzeit zunehmend verloren, und 1823 wurde in Köln die wilde, volkstümliche Straßenfastnacht schließlich in romantisch-historisierendem Sinne reformiert: Es entstand der bürgerliche rheinische Karneval mit Prinz Karneval als Hauptfigur, der Narr spielte nur noch eine Nebenrolle. Zugleich drehte sich die mittelalterliche Idee der Fastnacht vollständig um: Das mittelalterliche Teufelsfest wurde nun zu einem Fest der Freude. Allerdings zeigten sich auch hier die Grenzen der fastnächtlichen Freiheit: Prinz Karneval hieß zu Beginn Held Karneval, da man befürchtete, der Majestätsbeleidigung beschuldigt zu werden.
Der rheinische Karneval verbreitete sich im 19. Jahrhundert auch nach Karlsruhe, wo bisweilen die Darstellungen in den „Narrenblättern“, in denen unter anderem Veranstaltungsprogramme, Lieder, aber auch Karikaturen abgedruckt wurden, für Verdruss sorgten. In der politisch angespannten Zeit des Vormärz kam es sogar zu Anklagen, die für die Drucker mit einer Geldstrafe endeten, wie im Fall des „Simpel Augustus“, einer Parodie auf das römisch-deutsche Kaisertum.
Abb. 6: Simpel Augustus, Karlsruher Tagblatt, Narren-Spiegel 1843, Badische Landesbibliothek, OZB 970.
Auch die Freiheit der Fastnachtsnarren war also immer eingeschränkt durch Behörden, Vorschriften und gesellschaftliche Forderungen. Wer sie in Anspruch nimmt, riskiert bis heute Konflikte mit Gesellschaft und Obrigkeit. Die Ausstellung Narrenfreiheit!? Eine kleine Geschichte des Regelbruchs (Laufzeit bis 21. Februar 2026) zeigt Buch für Buch den Wandel des Narrenbegriffs – und dass von jeher die Narrenfreiheit zwar frei von Normen, aber niemals bedingungslos war.
Literatur
- Mezger, Werner: Narrenidee und Fastnachtsbrauch. Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europäischen Festkultur. Konstanz: Universitätsverlag, 1991
- Moser, Dietz Rüdiger: Fastnacht, Fasching, Karneval. Das Fest der „Verkehrten Welt“. Graz: Styria, 1986
- Könneker, Barbara: Satire im 16. Jahrhundert. Epoche – Werke – Wirkung. München: Beck, 1991
- Scheible, Johann (Hrsg.): Volksprediger, Moralisten und frommer Unsinn. Sebastian Brandt’s Narrenschiff. Stuttgart: Scheible, 1845
- Velten, Hans Rudolf: Scurrilitas. Das Lachen, die Komik und der Körper in Literatur und Kultur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Tübingen: Narr Francke Attempto, 2017
- Amelunxen, Claus: Zur Rechtsgeschichte der Hofnarren. Berlin: de Gruyter, 1991
- Mezger, Werner: Hofnarren im Mittelalter. Vom tieferen Sinn eines seltsamen Amts. Konstanz: Universitätsverlag, 1981
- Schindler, Norbert: Widerspenstige Leute. Studien zur Volkskultur in der frühen Neuzeit. Frankfurt a.M.: Fischer, 1992
- Pretsch, Peter: Geöffnetes Narren-Turney. Geschichte der Karlsruher Fastnacht im Spiegel gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen. Karlsruhe: Badenia, 1995